Die zirkuläre Ästhetik - Ausschnitt Bauteile
© Hochschule Augsburg, Prof. Mikala Holme Samsøe

Die zirkuläre Ästhetik – Das „Ornament“ der Rückbaubarkeit

Ein Gastbeitrag von Prof. Amandus Samsøe Sattler

Der Diskurs um zirkuläres Wirtschaften innerhalb der Wertschöpfungskette des Bauens benötigt dringend eine Möglichkeit der Umsetzung: hin zu weniger Verbrauch und Regeneration, um anstelle des Raubbaus an Umwelt und Ressourcen mit positivem Umwelteinfluss zu handeln. Damit haben wir als Architektinnen und Architekten eine neue Verantwortung, die auch in einem baulichen und ästhetischen Ausdruck sichtbar werden soll.

»Form follows availability – die Gestaltung folgt der Verfügbarkeit. «

Der Aspekt des zirkulären Planens hat eine sehr konkrete Auswirkung auf die architektonische Konstruktion und Gestaltung. Wir müssen die Materialien in Zukunft also so fügen, dass man sie wieder voneinander lösen kann, ohne sie zu beschädigen. Dabei geht es nicht nur um technische Lösungen – sondern es gibt uns als Architektinnen und Architekten das Potenzial, ein „Ornament“ der Rückbaubarkeit zu gestalten.

Spannend dabei ist, dass der Gestaltungsprozess und damit die Ästhetik durch den Zufall, durch die Verfügbarkeit von Materialien, bestimmt ist. Dieses Prinzip folgt dem Gedanken: Form follows availability – die Gestaltung folgt der Verfügbarkeit. Dieser Gedanke reduziert den Verbrauch von Ressourcen konsequent und ermöglicht eine wirkliche CO2-Senke. Die sichtbar andere Ästhetik, die unsere Sinneseindrücke anregt, kann eine Quelle für Erkenntnisse sein. Wir können verstehen, dass sich etwas geändert hat, wir können nachvollziehen, was im Raum, in der Stadt und in der Gesellschaft stattfindet. Der Bau schärft unsere Wahrnehmung für die Umwelt.

Umbau statt Neubau?

Noch immer hören wir aus der Politik und der Immobilienbranche, dass viel neu gebaut werden müsse, um den Bedarf, vor allem an Wohnungen, zu decken. 

»Aber wie lässt sich diese Forderung vom „Bauen, Bauen, Bauen“ mit dem Erreichen der Klimaziele vereinbaren? Man kann nicht CO2-frei bauen! «

Immer noch müssen täglich viele bestehende Gebäude, die gestern noch genutzt wurden, Ersatzneubauten weichen. Der Konflikt ist unübersehbar. Aber was heißt das konkret für uns Planerinnen und Planer? Aufhören mit dem Bauen? Umbau statt Neubau? Materialeffizientes Bauen? Klimaschonende, klimapositive Baumaterialien? Wiederverwendung bestehender Bauteile?

Alle Antworten sind richtig und führen die Branche weiter: weniger neu bauen und einen wertschätzenderen Umgang mit Bestand und bestehenden Materialien üben. Das Bauen trägt zu einer Gesellschaftsentwicklung bei, von einer expansiven zu einer reduktiven Moderne, die der Maxime folgt, mehr aus weniger zu machen. Es entsteht eine neue Stimmung für eine andere zirkuläre Produktivität und eine vielstimmige Ästhetik, eine Symbiose aus der Vielfalt unterschiedlichster Ausdrucksformen.

Improvisierte Schönheit

Der Bestand ist eine Perspektive. Wenn wir uns um vorhandene Gebäude bemühen, funktionale Offenheit zeigen und das Altern und Wiederverwenden von Material auch ästhetisch akzeptieren, können wir eine zirkuläre Produktivität entwickeln. Ein Gebäude ist nicht fertig beim Einzug. Hier beginnt ein Leben voller Änderung und Anpassung. Eine unerwartete und improvisierte Schönheit kann entstehen. Der Ausdruck einer glücklichen Genügsamkeit.


Sattler
© DGNB

Prof. Amandus Samsøe Sattler

Architekt BDA (ensømble studio) und Präsident DGNB e.V.

Der Architekt und Architektur-Professor Amandus Samsøe Sattler setzt sich in seiner Arbeit mit der Zukunft des Bauens, der Wechselwirkung zwischen Architektur und Gesellschaft sowie der Verantwortung für Ästhetik und Nachhaltigkeit auseinander. Zentral für den Ressourcenschutz ist der Umgang mit dem Gebäudebestand und dessen Umnutzung bzw. Wiederverwendung. Schönheit entsteht nicht allein mit dem Neuen. Eine kreative Bearbeitung des Vorhandenen ist eine Möglichkeit, Tradition und Geschichte mit Neuem zu verbinden. Dabei spielen Aspekte der Nachverdichtung, des Um- und Weiterbauens von urbanem Gefüge eine wichtige Rolle. Somit haben wir alle eine neue Verantwortung, die auch in einer baulichen und ästhetischen Antwort sichtbar werden soll.

https://www.dgnb.de/

Veröffentlicht: 16.09.2022


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