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Künstliche Intelligenz – Emissionsvermeider oder selbst Klimasünder?

Ein Gastbeitrag von Lucas Spreiter

Künstliche Intelligenz kann eine Schlüsseltechnologie im Kampf gegen den Klimawandel sein – oder ihn weiter vorantreiben. Schon heute existieren viele Anwendungen, die helfen Emissionen zu reduzieren. Doch bei falschem Einsatz lauern auch Gefahren.

Im Angesicht der drohenden Klimakrise hoffen viele Menschen auf eine technologische Lösung zur Rettung des Planeten. Viel Hoffnung wird insbesondere in Künstliche Intelligenz (KI) gesetzt, da diese als Querschnittstechnologie in vielen Bereichen helfen kann, Emissionen und Ressourcenverbräuche zu reduzieren. 

»Laut einer Studie von Microsoft und der Beratungsgesellschaft PwC aus dem Jahr 2019 könnte der durchgängige Einsatz der Technologie die Treibhausgasemissionen weltweit bis 2030 um bis zu 4 Prozent senken.«

Nicht nur für die nächste Filmempfehlung gut – Prognosen durch KI

KI wird oft als Sammelbegriff für verschiedene Technologien verwendet, bei denen Computerprogramme nicht nur auf im Vorhinein festgelegten Regeln basieren, sondern selbstständig Beziehungen aus großen Datenmengen erlernen. Dies ermöglicht es, komplexe Beziehungen abzubilden und genaue Vorhersagen zu treffen. Selbst Phänomene, die sich mit physikalischen Regeln nicht oder nur unzureichend beschreiben lassen, können so abgebildet werden. Beispielsweise lässt sich nur schwer eine mathematische Regel dafür finden, welchen Film eine Person als nächstes schauen möchte. Für KI ist es jedoch einfach, eine Empfehlung basierend auf dem Verhalten ähnlicher Nutzerinnen und Nutzer zu geben. Diese Fähigkeit, aus Daten Muster zu erkennen und Verhalten zu prognostizieren, macht KI besonders geeignet für den Einsatz in der Nachhaltigkeit.

Der größte Emissionstreiber: die Energiewirtschaft

83 Prozent der Emissionen in Deutschland sind energiebedingte Emissionen, die auf die Verbrennung von fossilen Stoffen zur Energieerzeugung zurückzuführen sind. Mit 35 Prozent trägt die Energiewirtschaft den größten Anteil davon[1] und ist damit ein wichtiger Sektor, in dem Emissionen zu reduzieren sind. Künstliche Intelligenz kann hier in mehreren Bereichen unterstützen. Zunächst im Ausbau der erneuerbaren Energien, wo mit Hilfe datengestützter Methoden die besten Flächen für neue Windkraftanlagen und Solarparks gefunden werden können. Die Universität Oldenburg entwickelt dafür ein KI-System, welches nicht nur Geoinformationsdaten, sondern auch demografische Faktoren nutzt, um Standorte mit hohem Ertrag und hoher Akzeptanz in der Bevölkerung zu identifizieren.[2]

Auch im Betrieb kann KI einen wertvollen Beitrag leisten. Immer wieder müssen Photovoltaik- oder Windkraftanlagen abgeschaltet werden, da sonst die Stromnetze überlastet werden. Durch die schwankenden Wetterbedingungen lässt sich die Energieerzeugung von Erneuerbaren nur schlecht vorhersagen. Deswegen ist ein hoher Anteil an Regelenergie aus fossilen Kraftwerken in den Energienetzen nötig. Um die Energie aus Windparks besser nutzen zu können, setzt die Firma Deepmind KI zur Vorhersage des Energieertrags ein. Durch Verknüpfung von Wetter- und Anlagendaten ist es gelungen, die Lieferungen ans Energienetz 36 Stunden im Voraus zu bestimmen und so die Energie 20 Prozent besser nutzen zu können.

Reduktion am Ort des Verbrauchs: Emissionen in Städten

Aufgrund der hohen Populations- und Industriedichte entstehen die meisten Emissionen weltweit in Städten. Die Städte Amsterdam, Kopenhagen, Helsinki, Paris, Stavanger und Tallinn haben sich zusammengeschlossen und den Innovationswettbewerb AI4Cities ins Leben gerufen, um neue KI-Lösungen zur Emissionsreduktion im Bereich Energie und Mobilität zu finden. Aus über 100 eingereichten Lösungen haben es sieben über mehrere Stufen hinweg geschafft, in den Städten eingesetzt zu werden. Eine dieser Lösungen ist BEE („Building Energy Efficiency“), welche aus der Zusammenarbeit eines deutschen und eines finnischen Start-ups entstanden ist und die Energienutzung in Gebäuden mit der Erzeugung von erneuerbaren Energien synchronisiert. Das System errechnet jeden Tag eine Vorhersage, wann und wie ein Gebäude genutzt wird und wie viel Energie zum Betrieb von Klimaanlagen, Heizungen oder dem Laden von Elektroautos nötig sein wird. Mit Hilfe einer Prognose der Stromproduktion werden Zeitfenster identifiziert, in denen die Energienutzung möglichst wenig Emissionen verursacht. Anschließend wird der Stromverbrauch im Gebäude so verändert, dass er zum größten Teil in diese Zeitfenster fällt. Im Schnitt können so die Emissionen eines Gebäudes um 20 Prozent gesenkt werden.

Im Bereich der Mobilität kann KI dabei helfen, das Angebot an verschiedenen Sharing- und Mobilitätskonzepten besser zu orchestrieren. Im Rahmen von AI4Cities wurde die Software „Mobility Policy AutoTune“ entwickelt. Diese erhebt Daten über den Gebrauch von Car-Sharing, Leihfahrrädern und E-Scootern und kombiniert diese mit weiteren Verkehrsdaten. So werden Mobilitäts-Hotspots erkannt und automatisch Empfehlungen gegeben, wie Verkehrsflüsse verbessert werden können.

Schneller von A nach B: Emissionen reduzieren im Transportsektor

Mit 19 Prozent trägt der Transport- und Verkehrssektor maßgeblich zur Klimabilanz Deutschlands bei. Eine zentrale Herausforderung für die Reduktion von Emissionen liegt im Frachttransport, in der Luftfahrt und im Schiffsverkehr, da hier noch kein Ersatz für fossile Energieträger in Sicht ist. Durch Prognose von Angebot und Nachfrage kann KI hier vor allem helfen Warenströme zu optimieren.

Das Start-up Transmetrics bietet dafür eine Lösung, mittels derer Sendungsdaten von Logistikunternehmen analysiert und – basierend auf den gewonnenen Daten – die Planung optimiert werden kann. Damit wird nicht nur sichergestellt, dass Waren auf dem schnellsten Weg von A nach B gelangen, sondern auch dass die Fahrzeugflotte eines Unternehmens den CO2-Ausstoß um bis zu 12 Prozent reduziert.

Schädlicher als CO2: Die Emissionen in der Agrikultur

Im Gegensatz zu anderen Sektoren, die hauptsächlich CO2 ausstoßen, sind die Emissionen der Agrikultur maßgeblich auf die Methan- und Lachgas-Emissionen der Viehhaltung und Düngung zurückzuführen. Methan ist dabei 25-mal und Lachgas 298-mal so klimaschädlich wie Kohlenstoffdioxid. Um diese Emissionen zu reduzieren, wird KI heute schon in vielen Bereichen eingesetzt. Mit Hilfe von „Precision Farming“-Technologien kann für einzelne Pflanzen der Nährstoff- und Düngemitteleinsatz berechnet werden, womit Erträge gesteigert und die Umwelt geschont werden. Das Unternehmen Agravis nutzt zum Beispiel eine Kombination aus Satellitenbildern, Ertragskarten und Bodenproben, um die optimale Düngemittelmischung zu errechnen.

Der Fußabdruck von Künstlicher Intelligenz

Dass sich KI nicht nur positiv auf das Klima auswirken kann, zeigt eine Studie aus dem Jahr 2019, in der Forschende berechnet haben, dass das Entwickeln einer komplexen KI bis zu fünf-mal so viele Emissionen erzeugen kann wie ein Auto während seines gesamten Lebenszyklus.[3] Auch wenn die meisten entwickelten KI-Systeme einen kleineren ökologischen Fußabdruck haben, so zeigt dieses Beispiel doch, dass KI verantwortungsvoll eingesetzt werden muss. Eine noch schwerwiegendere Rolle kann der sogenannte Rebound Effekt spielen. Dieses Phänomen bezeichnet die vermehrte Nutzung einer Ressource, nachdem diese effizienter in der Erzeugung geworden ist. Bezogen auf KI könnten autonome Autos dazu führen, dass eine Autofahrt viel günstiger als die Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln wird und die Nutzung entsprechend zunimmt.

»Laut einer Studie von Microsoft und der Beratungsgesellschaft PwC aus dem Jahr 2019 könnte der durchgängige Einsatz der Technologie die Treibhausgasemissionen weltweit bis 2030 um bis zu 4 Prozent senken.«

Fazit

KI kann als Querschnittstechnologie in unterschiedlichen Branchen einen wichtigen Beitrag leisten, um Emissionen zu verringern. Jedoch lauern auch Gefahren durch Rebound Effekte und den Energieverbrauch von KI selbst. Ob sich die Technologie letzten Endes positiv oder negativ auf den Klimawandel auswirkt, lässt sich nicht pauschal beurteilen. Setzen Politik, Städte und Unternehmen KI aber verantwortungsvoll zur Reduktion von Ressourcen ein, kann der Wandel zu einer klimaneutralen Gesellschaft beschleunigt werden. Eine schnellstmögliche Umsetzung ist dabei dringend gefragt – nicht nur in Zeiten der Energieknappheit.


Lucas Spreiter
© Unetiq GmbH

Lucas Spreiter

Lucas Spreiter ist Gründer von Unetiq – der Agentur für die Entwicklung und den Einsatz von nachhaltiger Künstlicher Intelligenz. Hier hilft er anderen Organisationen dabei, Anwendungsfälle zur Steigerung der Nachhaltigkeit mit Hilfe von KI zu identifizieren und umzusetzen. Als Leiter der Arbeitsgruppe „Nachhaltigkeit“ im Bundesverband Künstliche Intelligenz beschäftigt er sich mit dem Einfluss von KI auf die Umwelt sowie auf Wirtschaft und Gesellschaft.


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Unetiq GmbH

Die Unetiq GmbH entwickelt maßgeschneiderte KI- und Data-Science Lösungen für Organisationen, die sich für eine bessere Zukunft einsetzen. Das Unternehmen unterstützt bei der Ideenfindung, Umsetzung und dem produktiven Einsatz von Lösungen, die Emissionen reduzieren und Mitarbeitende entlasten. Daneben bietet Unetiq eine eigene Lösung zur energieoptimierten Steuerung von Gebäuden und Produktion, die den Energieverbrauch mit dem Angebot an Erneuerbaren synchronisiert.

Referenzen

[1] Quelle: Umweltbundesamt, https://www.umweltbundesamt.de/daten/energie/energiebedingte-emissionen#entwicklung-der-energiebedingten-treibhausgas-emissionen

[2] https://www.solarserver.de/2022/04/13/kuenstliche-intelligenz-standorte-windkraft/

[3] https://www.technologyreview.com/2019/06/06/239031/training-a-single-ai-model-can-emit-as-much-carbon-as-five-cars-in-their-lifetimes/

Veröffentlicht: 01.08.2022


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