Grüner Journalismus
© Pixabay / janeb13

Journalismus und die Klimakrise

Ein Gastbeitrag von Professor Torsten Schäfer und Vanessa Kokoschka

Die Berichterstattung über die Klimakrise ist eine Herausforderung für den Journalismus. Was sich in den letzten Jahren getan hat und was im Journalismus noch passieren muss, um der Klimakrise kommunikativ gerecht zu werden – ein Überblick.

Der Klimawandel ist die drängendste Krise unserer Zeit und berührt alle Bereiche unserer Gesellschaft. Eine Abkehr von umweltschädlichen Einflüssen ist dringend notwendig, um die Stabilität unseres Klimas aufrechtzuerhalten. Dies stellt eine systemische Herausforderung dar, die neben individuellen Alltagsentscheidungen auch bisherige politische Entschlüsse und die Wirtschaftsweise in Frage stellt. In der Folge kommt es zu einer gesellschaftlichen Transformation: Bürgerinnen und Bürger müssen durch Informationen dazu befähigt werden, klimafreundlich zu handeln und somit ein nachhaltiges Bewusstsein zu entwickeln.

An dieser Stelle kommt dem Journalismus eine entscheidende Rolle zu, den Prozess der nachhaltigen Entwicklung kommunikativ zu begleiten. Besonders in den vergangenen fünf Jahren ist der Journalismus „ergrünt“. Es können Veränderungen in journalistischen Strukturen, der Berichterstattung und bei den beteiligten Akteurinnen und Akteuren beobachtet werden.

Neue redaktionelle Strukturen und Workflows

Einige Redaktionen haben die Klimaberichterstattung zur Priorität gemacht und dabei an verschiedenen Stellschrauben gedreht. So haben der Guardian und die taz ihre Sprache reflektiert und an die Dringlichkeit der Krise angepasst. Sie nutzen nun eine klimagerechte Wortwahl, in der beispielsweise nicht mehr von Erderwärmung, sondern von Erderhitzung die Rede ist.

Auf nationaler und internationaler Ebene haben sich Netzwerke gegründet, die sich für eine bessere und stärkere Klimaberichterstattung einsetzen. Covering Climate Now hat in Zusammenarbeit mit Redaktionen auf der ganzen Welt im September 2019 eine Themenwoche zum Klima initiiert. Innerhalb Deutschlands engagiert sich Klima vor Acht: Nachdem sie mit ihrer ursprünglichen Forderung einer täglichen Klimasendung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk gescheitert sind, unterstützen sie mittlerweile als Berater die Mediengruppe RTL bei der Produktion ihres Formats „Klima Update“.

Neben der nachhaltigen Transformation vollzieht sich durch das Internet im Allgemeinen und den sozialen Medien im Speziellen ein Wandel in der Medienlandschaft. Damit verändert sich auch das Mediennutzungsverhalten, insbesondere einer jungen Zielgruppe. Ein Publikum im Alter von 14 bis 29 Jahren konsumiert Inhalte überwiegend online und interessiert sich vor allem für den Klimawandel, auch, weil sie perspektivisch von seinen Folgen am stärksten betroffen sind (vgl. Beisch/Koch 2021; vgl. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit 2020; vgl. Shell-Jugendstudie 2019).

Auf diese Entwicklung reagieren Redaktionen mit digitalen Formaten, die sich nicht nur als Erweiterung linearer Produkte verstehen, sondern speziell auf Drittplattformen realisiert werden. Die taz hat das „klimahub“ aufgebaut, der Westdeutsche Rundfunk informiert mit „klima.neutral“ auf Instagram, und der Bayerische Rundfunk produziert in Kooperation mit funk (gemeinsames Content-Netzwerk von ARD und ZDF) das Format „Grünphase“.

Klimakrise wird zur Priorität in der Berichterstattung

Auch in der Berichterstattung über den Klimawandel sind Veränderungen bemerkbar. Medien wie „Perspective Daily“ oder auch das „Klima Update“ nutzen konstruktiven Journalismus. Negative Schlagzeilen werden hier durch konkrete Handlungsoptionen und Lösungsansätze ergänzt. Dadurch sollen Frustration und ein Ohnmachtsgefühl bei Rezipientinnen und Rezipienten vermieden werden. Stattdessen erhalten sie den Eindruck, selbst aktiv zur Lösung beitragen zu können.

»In vielen Punkten widerspricht der Klimawandel der gängigen Logik im Journalismus. Klima und Nachhaltigkeit können keinem Ressort eindeutig zugeordnet werden, sondern müssen konsequent bei jedem Thema mitgedacht werden – ähnlich wie es während der Pandemie in der Berichterstattung über COVID-19 und die Auswirkungen des Virus auf die Gesellschaft erfolgt ist. «

Überhaupt ist es journalistisch betrachtet eine Herausforderung, den Klimawandel zu vermitteln. In vielen Punkten widerspricht er der gängigen Logik im Journalismus. Klima und Nachhaltigkeit sind ein interdisziplinäres Themenfeld und erfordern von Journalistinnen und Journalisten eine Schnittstellenkompetenz. Sie können keinem Ressort eindeutig zugeordnet werden, sondern müssen konsequent bei jedem Thema mitgedacht werden – ähnlich wie es während der Pandemie in der Berichterstattung über COVID-19 und die Auswirkungen des Virus auf die Gesellschaft erfolgt ist. Auch sind die Folgen der Klimakrise für die Bevölkerung im Globalen Norden offenbar noch nicht ausreichend sichtbar – obwohl klimabedingte Hitze, Überschwemmungen, Missernten und Waldschäden weiter zunehmen.

Die bisherige Berichterstattung im Klimajournalismus verläuft punktuell und ist stark ereignisorientiert – stattdessen muss eine langfristige und globale Perspektive eingenommen werden. Die meist negativen Inhalte basieren auf komplexen klimawissenschaftlichen Zusammenhängen: Auch dies stellt für Journalistinnen und Journalisten eine Herausforderung dar und setzt Vorwissen voraus. Fehlen diese Kenntnisse, kann es zu mangelnden Kontextualisierungen und Vereinfachungen kommen.

Neue Aktive in der Klimakommunikation

Nicht nur Journalistinnen und Journalisten informieren über die Klimakrise: Mittlerweile sind noch andere Akteurinnen und Akteure, die auch als partizipative Journalisten bezeichnet werden können, in diesem Bereich aktiv. Sie unterscheiden sich unter anderem in ihren personellen und finanziellen Ressourcen, ihren Distributionsstrategien und Finanzierungsmodellen, ihrer Organisation, ihren redaktionellen Prioritäten und ihrem Status (gemeinnützig vs. gewinnorientiert) voneinander (vgl. Nicholls et al. 2016). So berichten beispielsweise Nichtregierungsorganisationen wie die Vereinten Nationen oder soziale Bewegungen wie Fridays for Future auf Drittplattformen über den Klimawandel. Und auch Influencer und YouTuber wie zum Beispiel Rezo produzieren hierzu Beiträge.

Auch Kooperationen zwischen Redaktionen und Aktivistinnen und Aktivisten wurden in der Vergangenheit umgesetzt: Der Stern und die taz haben jeweils zum Weltklimatag 2020 eine Ausgabe ihres Printprodukts gemeinsam mit Klimaschutzaktivsten gestaltet.

Perspektiven und Handlungsaufforderungen

Die Klimaberichterstattung muss kontinuierlicher werden. Dafür ist es notwendig, dass die einzelnen Punkte der Klimakrise miteinander verbunden werden, um die Komplexität und Tragweite darzustellen. Der Klimawandel darf dabei nicht als unlösbares Problem präsentiert werden, da dies zur Resignation führen kann. Insofern sollte die Klimaberichterstattung nicht bei Schilderungen vergangener Ereignisse und des Status Quo enden, sondern muss Zukunftsperspektiven bieten und Handlungsoptionen benennen. Diese müssen dann allerdings auch kritisch auf ihre Umsetzbarkeit hin bewertet werden – ganz im Sinne eines „kritisch-konstruktiven“ Journalismus.

»Klimaberichterstattung darf nicht bei Schilderungen vergangener Ereignisse und des Status Quo enden, sondern muss Zukunftsperspektiven bieten und Handlungsoptionen benennen.«

Redaktionen müssen Nachhaltigkeit als Dimension verstehen, die alle gesellschaftlichen Teilsysteme betrifft – mit einem Verständnis, das der Ökologie den Vorrang einräumt im Sinne der „planetaren Grenzen“, die in der Wissenschaft nun als Standardwert für die Erddebatte gelten. Auch darf die Klimaberichterstattung nicht entpolitisiert werden, da die tatsächlich weitreichenden Entscheidungen nicht im individuellen Konsumverhalten verortet sind, sondern auf nationaler Ebene getroffen werden, eben dort, wo die politische Handlungshoheit liegt.

Redakteurinnen und Redakteure benötigen dafür ausreichend Klimakompetenz: Medienunternehmen und journalistische Ausbildungsstätten sind gefragt, diese Fortbildungsmöglichkeiten zu schaffen. Auch mehr Diversität, die letztlich zu mehr Perspektivenvielfalt führt, muss umgesetzt werden – und zwar auf allen Hierarchiestufen. Nur so kann der Blick für alle betroffenen Gesellschaftsschichten und Minderheiten geöffnet werden. Dies können erste Schritte sein, damit eine kompetente und ressortübergreifende Berichterstattung über die Klimakrise gelingt und ihr in ihrer Dringlichkeit gerecht wird. Genauso wie die Gesellschaft, muss sich auch der Journalismus transformieren, um diese Herausforderung zu meistern.


Thorsten Schäfer
© Sandor Rapolder

Torsten Schäfer

Professor für Journalismus und Textproduktion an der Hochschule Darmstadt, Umweltjournalist und freier Autor

Torsten Schäfer führt das Steinbeis-Zentrum für Nachhaltigkeitskommunikation und Sprachökologie an der Hochschule Darmstadt, www.dasumweltinstitut.de. Arbeitsschwerpunkte liegen neben dem Klimajournalismus in der Stilistik und der EU-Berichterstattung. Von 2009 bis 2013 war Schäfer Redakteur der internationalen GEO-Ausgabe und zuvor Chef vom Dienst und Planer in der Onlineredaktion der Deutschen Welle. Stationen davor: Politik-Promotion zur EU-Berichterstattung deutscher Regionalzeitungen, Master in European Studies an der RWTH Aachen, Diplom-Studium der Journalistik an der TU Dortmund. Freier Journalist jeweils über mehrere Jahre für GEO, taz, Süddeutsche Zeitung und dpa.


Vanessa

Vanessa Kokoschka

Journalistin und Dozentin an der Hochschule Darmstadt

Vanessa Kokoschka (M.Sc.) ist ausgebildete Journalistin und arbeitet als didaktische Assistentin und Dozentin mit den Schwerpunkten Textproduktion und wissenschaftliches Arbeiten an der Hochschule Darmstadt. Neben ihrem Studium war sie als freie Journalistin für die Ippen-Gruppe und die Deutsche Presse-Agentur tätig. Darüber hinaus unterstützt sie die Plattform Grüner Journalismus redaktionell. Derzeit bereitet sie ihre Promotion am Promotionszentrum für Nachhaltigkeitswissenschaften an der Hochschule Darmstadt vor.


h_da

Hochschule Darmstadt (h_da)

Die Hochschule Darmstadt (h_da) ist eine der größten Hochschulen für Angewandte Wissenschaften in Deutschland. Der Fachbereich Media mit allen Studiengängen der Kreativwirtschaft ist am Mediencampus der Hochschule Darmstadt angesiedelt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung und die Deutsche UNESCO-Kommission haben die h_da mehrfach als Vorbild für nachhaltige Entwicklung ausgezeichnet. Dies zeigt sich in Lehre und Forschung, unter anderem im bundesweit einzigartigen Promotionszentrum für Nachhaltigkeitswissenschaften.

Weiterführende Infos und Quellen

Publikationen zum Thema Grüner Journalismus und vgl.:

Plattformen im Internet

Veröffentlicht: 19.07.2022


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