Holger Volland_Portrait
© José Pabete

"Algorithmen sind eine wichtige Zielgruppe"

Ein Gespräch mit Holger Volland

Holger Volland ist vielseitig. Als Transformationsexperte und Autor widmet er sich Themen rund um den digitalen Wandel. Der Buchhändlersohn war Vizepräsident der Frankfurter Buchmesse und Gründer von THE ARTS+, einem Festival für digitale Kultur. Nun ist Holger Volland Vorstand der brand eins Medien AG in Hamburg. Was sich nicht nur digital in der Welt, sondern seither auch in seinem Leben geändert hat, was er aus der hessischen Heimat im Norden vermisst und aktuell in Hamburg bewegt, dazu haben wir ihm ein paar Fragen gestellt.

Holger, vor einigen Monaten hat es dich in den hohen Norden verschlagen. Wir wollen natürlich erstmal erfahren: Was von deiner hessischen Heimat fehlt dir besonders?

Das Wetter! Mir war gar nicht bewusst, was für ein sonnengeküsster Flecken Hessen ist, bevor ich den Norden kennengelernt habe. Viel wichtiger aber ist mein persönliches Netzwerk in die hessische Kreativ- und Kulturszene. Hier vermisse ich die spontanen Treffen und Gespräche über gemeinsame Projekte im mehlwassersalz oder bei Badias. Zum Glück gibt es schon erste hessisch-hamburgische Projektideen, um diese beiden Kreativ-Standorte miteinander zu verbinden!

Du bist mit einem guten Grund gegangen: deiner neuen Aufgabe als Vorstand bei brand eins. Verrätst du uns, wie ein klassischer Arbeitstag von dir aussieht?

Ich kann inhaltlich vor allem meine Erfahrungen mit Digitalstrategien und Community Projekten einbringen. Hinzu kommen Finanzplanung und Geschäftsentwicklung. Die Aufgaben sind aber bei einem Verlag wie dem unseren entsprechend vielfältig. Denn außer dem bekannten Monatsmagazin haben wir auch ein Führungskräfte Peer Group Programm, produzieren Podcasts oder entwickeln Corporate Publishing Projekte zusammen mit Unternehmen.

Kürzlich hast du einen Newsletter gestartet: Digitalisierung mit Rückgrat. Für wen schreibst du und worum geht’s?

Der kostenlose Newsletter erscheint alle zwei Wochen und ist eigentlich an mich selbst gerichtet. Er ist für Menschen, die trotz der rasenden Geschwindigkeit der Digitalisierung eine klare Haltung entwickeln wollen: Welche Entwicklungen sind gut für die Gesellschaft, welche ungesund? Wo verlaufen die Linien, ab denen wir uns persönlich unsicher fühlen und unser Verhalten ändern sollten? Aber auch: mit welchen Vorurteilen gegenüber Technologieunternehmen müssen wir aufräumen? Solche Fragen greift mein Brief auf. Er ist übrigens Teil einer Serie von vier neuen Newsletter Projekten, die wir bei brand eins gestartet haben, um die Sinnsuche in einer Welt der Transformationen zu begleiten. Ich kann sie allen nur wärmstens empfehlen.

Vollands Newsletter
© Illustration: Alexander Glandien

Laut eurem Selbstverständnis wollt ihr bei brand eins "Ideen für eine neue Wirtschaft" suchen und "die Basis für ein selbstbestimmtes Leben" liefern. Was bedeutet Selbstbestimmtheit in diesem Kontext für dich?

Selbstbestimmtheit kann man nur dann erreichen, wenn man die schnellen Lösungsansätze von Coaches, LinkedIn Posts oder Business-Ratgebern links liegen lässt und sich großzügig erlaubt, eigene Fehler zu machen. Nur, wer sich bewusst mit unterschiedlichen Perspektiven und den oft schizophrenen Aspekten des eigenen wirtschaftlichen Tuns als Unternehmerin oder Führungskraft beschäftigt, findet eigene Lösungen, die auf Dauer tragen. Selbstbestimmtheit bedeutet aber auch, mutig loszulaufen, selbst wenn einem niemand sagen kann, wo man ankommt. Solche Sicherheiten gibt es in unserer extrem komplexen Ökonomie sowieso nicht mehr.

»Selbstbestimmtheit bedeutet aber auch, mutig loszulaufen, selbst wenn einem niemand sagen kann, wo man ankommt.«

Welche zentralen Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz und Digitalisierung siehst du in naher Zukunft, besonders mit Blick auf die Kreativwirtschaft?

Bis vor Kurzem schien für viele Kreative KI noch Konkurrenz zu sein für das eigene Schaffen. Der Algorithmus als Musiker, als Autor oder Werbetexter war das Feindbild. Heute haben wir ein differenzierteres Bild. Es wird deutlich, dass Kreativität eine der großen Stärken des Menschen ist. Gerade Berufe, die auf Ideenreichtum und experimentelle Lösungen bauen, haben eine glänzende Zukunft. Gleichwohl werden schon viele niedrig-kreative Arbeiten an Künstliche Intelligenz ausgelagert: Fahrstuhlmusik, SEO-Texte oder Alltags-Übersetzungen. Bestimmte Teilbereiche der Kreativwirtschaft, wie die Games- oder Filmindustrie, kommen ohne KI-Tools gar nicht mehr aus.

Auch ist klar, dass Künstliche Intelligenz die entscheidende Rolle spielt bei der Auswahl und Verteilung kreativer Inhalte. Die Kreativwirtschaft muss sich darauf einstellen, dass Algorithmen eine wichtige "Zielgruppe" werden. Nur wenn diese Programme die Ankündigung einer Ausstellung verstehen, ein Lied oder einen Film hoch ranken, den Inhalt eines Buches begreifen, stellen sie die Verbindungen zu den Endkunden her. Darin steckt viel Potenzial, denn wer das Spiel der dafür nötigen Metadaten beherrscht, erreicht mehr Kundschaft.

Da du nun die Außenperspektive hast: Welche kreativen, vielleicht auch ungenutzten Potenziale siehst du in Hessen?

Hessen scheint ein echter Underdog zu sein. Wenn ich sage, woher ich komme, muss ich mir dauernd anhören, dass ich jetzt aber froh sein könne, von dort weg zu sein. Das Gegenteil ist natürlich der Fall! Aber Hessen macht es seinen Kritikern auch leicht: Wir haben zwar einzelne Kampagnen wie "Kultur in Hessen" oder "Feels like Hessen", doch fehlen dem Bundesland eine starke emotionale Markenidentität und aufsehenerregende Aktionen, in denen diese sichtbar wird. Allerdings erreicht man eine solche Marke nicht, indem man es allen recht macht, jede Stadt, jedes politische Ressort und jedes wirtschaftliche Segment als gleich wichtig kommuniziert. Dann sind zwar intern alle Stakeholder zufrieden gestellt, nach draußen dringt aber nur grauer Brei. Andere Bundesländer spitzen das zu mit Tradition/Innovation, selbstironischem Erfindungsreichtum oder sexy Vielfalt. Was wäre dieser klare Fokus für Hessen und wie könnte man beispielsweise die Hamburger zu Hessen-Fans machen? Das wäre mal ein spannendes Projekt!

»Wenn ich sage, woher ich komme, muss ich mir dauernd anhören, dass ich jetzt aber froh sein könne, von dort weg zu sein. Das Gegenteil ist natürlich der Fall!«

Wir freuen uns über einen Ausblick auf 2022: Welche Projekte willst du in diesem Jahr vorrangig voranbringen – bei brand eins, als Autor, privat, in Hessen…?

Mein größter Fokus liegt auf den Projekten, die wir bei brand eins gestartet haben und die in den nächsten Monaten das Licht der Welt erblicken werden. Außerdem bin ich gerade an den Vorarbeiten zu einem neuen Buch. Aber das Wichtigste ist: Mein Privatleben hat unter Pendeln und Corona so sehr gelitten, dass ich mir für 2022 viele Treffen mit alten und neuen Freunden verordnet habe. Auch in Hessen!


Holger Volland_Portrait
© José Pabete

Holger Volland

Vorstandsvorsitzender der brand eins Medien AG in Hamburg

Holger Volland ist Vorstandsvorsitzender der brand eins Medien AG in Hamburg. Als Experte mit mehr als 25 Jahren Erfahrung in der digitalen Transformation im Medien- und Kulturbereich, ist ihm verantwortungsvolles technologisches Wachstum ein besonderes Anliegen. Er ist Autor zu den Themen digitale Transformation und KI und wird in nationalen und internationalen Verlagen veröffentlicht. Zudem ist er ein erfahrener Vortragssprecher und Dozent im Bereich Digitalisierung, Medien und Kultur (St. Gallen, Goethe-Institut, DLD, Art Directors Club, SXSW, Frankfurter Buchmesse, etc.). Er ist aktives Mitglied von Z-Inspection, dem interdisziplinären Wissenschaftsnetwerk für Mindful Use of AI, und der Sonophilia Stiftung für Applied Creativity.


Logo Brandeins_kleiner_BeitragVolland

brand eins Medien AG in Hamburg

brand eins entstand 1999 aus dem Vorgänger-Magazin Econy, welches vom Spiegel-Verlag gegründet und später eingestellt wurde. Die Redaktion beschloss daraufhin, ein eigenes Magazin zu gründen - unter neuem Namen, eigenständig und selbstverantwortlich. Die Medien AG ist ein Experte für Veränderung in Wirtschaft und Gesellschaft. Sie widmet sich der Transformation von der Industrie- zur Wissensgesellschaft als Inspiration für ein besseres Leben.

Hier geht's zu Holger Vollands Newsletter "Digitalisierung mit Rückgrat" 

https://www.brandeins.de/newsl...

Veröffentlicht: 10.01.2022


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