Tarek Al Wazir
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Kultur- und Kreativwirtschaft ist wichtiger Impulsgeber

Interview mit Hessens Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir

Das ist der zweite Kreativwirtschaftsbericht unter Ihrer ­Verantwortung, der vorige, 5. Hessische Kreativ­wirtschaftsbericht erschien 2015. Was ist seitdem geschehen?

Viel! Zum Beispiel ist der Jahresumsatz der Branche um rund drei Milliarden Euro gewachsen. Bis zur Coronapandemie ging es konstant bergauf: Umsatz und Beschäftigung wuchsen, die Branche vernetzte sich immer besser, und sie wurde auch deutlich sichtbarer. Nun ist sie schwer getroffen. Hilfsmaßnahmen lindern zwar das Schlimmste, trotzdem fallen einige durch die Maschen, und viele haben mit teilweise dramatischen wirtschaftlichen Notlagen zu tun. Aber die Kreativwirtschaft heißt ja nicht umsonst so: 

»Viele waren sehr kreativ dabei, ihr Geschäftsmodell zu adaptieren – etwa indem sie statt Messedesigns für ihre Kunden Online-Marketing-Konzepte entwickelten. Da hat es sich ausgezahlt, dass die hiesige Branche schon seit geraumer Zeit stark auf Digital Marketing setzt.«

Sie hat damit den länger andauernden Umbruch in der Werbewirtschaft – viele große Networks sind verschwunden oder geschrumpft – kompensieren können.

Im Branchendialog mit der Kreativwirtschaft haben Sie zentrale Handlungsfelder definiert – Räume, Förderung, Vernetzung, Sichtbarkeit. War das hilfreich, und was konnten Sie realisieren?

Es ist sinnvoll, Förderangebote für die Branche im Dialog mit der Branche zu entwickeln. Dabei bleiben wir natürlich. Wir verstehen ihre Bedürfnisse jetzt besser, auch wenn wir nicht alle Wünsche erfüllen können. Beispielsweise können wir nicht Millionen für die Schaffung von Kreativzentren einsetzen. Trotzdem ist seit 2016 einiges entstanden: Beispielsweise hat Hanau ein Kreativquartier im Hafentorviertel konzipiert, Darmstadt hat eines im Stadtentwicklungskonzept ausgewiesen, Gießen entwickelt aktuell Kreativzentren, gemeinsam mit der Stadt Frankfurt haben wir den Bestand der "basis" auf zwölf Jahre gesichert, Wiesbaden will im Alten Gericht ein Kreativzentrum entwickeln, und die Nachrichtenmeisterei in Kassel wurde immerhin fünf Jahre gesichert. Dass wir 2016 einen Raumberater beauftragt haben, bewährt sich. Er wird seine Tätigkeit fortsetzen. Denn wir brauchen diese vielen lokalen Kreativzentren als Räume für kreatives und innovatives Arbeiten und die Entwicklung und Wahrnehmung der Branche insgesamt.

Im Branchendialog wurde auch betont, wie wichtig öffentliche Förderung, Vernetzung und Sichtbarkeit sind. Wir haben dementsprechend das Fördervolumen für Kreativwirtschaftsprojekte vervierfacht und es vor allem eingesetzt, um Branchenaktivitäten zu stärken. Das scheint gut zu funktionieren, viele Initiativen aus der Branche und einige herausragende Festivals wie see-Conference oder NODE werden gefördert. Mit dem Kreativwirtschaftstag haben wir eine Plattform von der Branche für die Branche geschaffen. Eine ganz wichtige Rolle als Partnerin und Ansprechpartnerin der Kreativbranchen und für unsere operativen Tätigkeiten spielt die Geschäftsstelle Kreativwirtschaft bei der Hessen Agentur, deshalb haben wir auch sie personell und finanziell aufgestockt.

Hessens Kreative beklagen das Standortimage …

… und dass sie deshalb Schwierigkeiten haben, etablierte Spitzenkräfte von außerhalb in die Region zu locken, ich weiß. Natürlich ist der Fachkräftemangel ein Problem – aber wir sehen auch, dass die Vorurteile allmählich schwinden. Weil sich auch bundesweit die Erkenntnis durchsetzt, dass Hessen und insbesondere FrankfurtRheinMain ein sehr vielfältiger und vor allem wirtschaftlich starker Kreativstandort mit guten Businessperspektiven, einer tollen Lebensqualität und vielen jungen Talenten ist. Hier lässt sich tatsächlich unternehmerisch viel gestalten. Darauf spielt ja das Bonmot an, dass zweimal weint, wer nach Frankfurt geht: zum ersten Mal, wenn man hin muss, aber noch mehr, wenn man wieder weg muss. 

»Wer einmal hier gearbeitet und gelebt hat, weiß den Standort zu schätzen.«

Das darf die Branche ruhig auch selbstbewusst nach außen tragen. Denn Standortimage und Standortidentität hängen ja eng zusammen. Natürlich: Von London aus gesehen sind in Deutschland eh alles Dörfer – außer Berlin. Dass dort aber die Mieten langsam Westniveau erreicht haben und die hippen Kreativen allmählich aus Berlin weggentrifiziert werden, etwa nach Leipzig, nach Branden-burg oder eben Offenbach, ist auch Teil der Wahrheit. Das Thema ist auch in London groß: Dort können sich nur Wohlhabende die Mieten im Ballungsraum leisten, sodass ein großer diverser Talentpool nicht nutzbar ist. Gerade in der Werbebranche ein echtes Problem.

Apropos London: Sie haben in den vergangenen Jahren Kreativwirtschaftsdelegationen in ausländische Metropolen geführt, unter anderem nach London. Was hat’s gebracht?

Jede Reise war auf andere Art inspirierend. Aus dem Trip nach Mailand ist die Hessen Design Competition entstanden. In Zürich haben wir gesehen, wie eine Stadt, die Frankfurt recht ähnlich ist, Kreative zielgerichtet als Stadtentwicklungsfaktor wirken lässt. In Wien haben wir eine ausgeprägte staatliche Fördertradition erlebt, gepaart mit einer öffentlichen Wohnungswirtschaft, die enormen Druck aus der Stadtentwicklung nimmt. Dagegen in London kaum öffentliche Förderung, aber ein sehr selbstbewusstes Standortmarketing. Ganz verschiedene, spannende Ansätze. Was ich aber auch gesehen habe: Hessens Kreative haben Qualität und Leistungsfähigkeit, sie können überall mithalten.

Bemerkenswert. Was macht für Sie diese Qualität der ­hessischen Kreativwirtschaft aus?

Fachliches Können, wirtschaftliches Denken und große Vielfalt. Die besonders ausgeprägte Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen – unternehmerisch wie gesellschaftlich – und sich ethischen Fragen zu stellen: Was bewirkt mein Handeln? Welche Ziele kann und sollte man anstreben? Und immer mehr: Wie kann ich nachhaltig handeln? Wir alle müssen für unser Handeln einstehen, und das bedeutet auch, die Folgen unseres Handelns für die Welt zu berücksichtigen. Und da gibt es zahlreiche Fragen an Kreative: Kann man für Konsum werben, wenn unmäßiger Konsum gerade unsere Lebensgrundlagen vernichtet? Welche Verantwortung haben Designer dafür, was die Leute mit ihrem Produkt machen? Was können Medien sich erlauben, was nicht? Aus dieser Selbstreflexion entsteht eine enorme Innovationsfähigkeit. 

»Hessens Kreative greifen neue Ansätze und Methoden schnell auf und damit geben sie Impulse auch für andere Branchen. Darauf bauen wir auch, denn wir brauchen dringend neue Geschäftsmodelle in so vielen Bereichen.«

Deshalb spielen Kultur- und Kreativwirtschaft als Impulsgeber für andere Branchen eine besondere Rolle in der neuen Hessischen Innovationsstrategie.

Wie kann die Politik die Kultur- und Kreativwirtschaft ­dabei unterstützen, verantwortungsvoll zu handeln?

Wir bemühen uns um Nachhaltigkeit, und das ist zwangsläufig eine Frage der Verantwortung: für unseren Planeten, für nachfolgende Generationen. Bezogen auf die Wirtschaft geht es dabei um Zukunftsfähigkeit. Und zwar im doppelten Sinne: fähig, in Zukunft erfolgreich zu sein, und fähig, die Zukunft mitzugestalten. Das gehört für mich zusammen. Wenn Ressourcen knapp werden, wird derjenige erfolgreich sein, der sie schont. Als Wirtschaftsministerium fördern wir besonders Projekte, die die Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit der hessischen Kreativwirtschaft verbessern. Und dazu gehören solche, die sich gesellschaftlichen Entwicklungen widmen. Das ist ein harter Wirtschaftsfaktor. Bei Start-ups etwa wollen wir Unternehmen bevorzugt unterstützen, die besondere gesellschaftliche Herausforderungen wie Datenschutz und Gesundheit angehen. Auch bei unserem nächsten Kreativwirtschaftstag ist Verantwortung und Kreativität zentrales Thema.

Was fehlt der hessischen Kreativwirtschaft?

Abgesehen davon, dass Corona bald endgültig überwunden ist: wenig. Die meisten Unternehmen sind gesund, innovativ und ertragsstark. Die hessischen Hochschulen bringen sehr viele gut qualifizierte und auch sehr unterschiedliche kreative Leute hervor. Wünschen würde ich mir noch etwas mehr Selbstbewusstsein und Wir-Gefühl, das sich in einer Branche mit elf Teilmärkten von der Architektur bis zu den Darstellenden Künsten naturgemäß nicht von selbst einstellt. Dennoch gibt es viel Verbindendes, das spürt man in Gesprächen und auf Veranstaltungen wie dem Kreativwirtschaftstag: Die großen Themen wie etwa das Urheberrecht betreffen ja alle. Es gibt in Hessen bereits ein paar mehrere Teilmärkte repräsentierende Organisationen – etwa CLUK. Wenn man das mit anderen Wirtschaftsorganisationen wie der Autobranche oder dem Handwerk vergleicht, gerade auf Bundesebene, ist es doch eher kleinteilig. Die Kreativen würden aber sicher nicht nur in der Krise viel mehr politische und gesellschaftliche Wahrnehmung haben, wenn sie ihre Lobby selbst teilmarktübergreifend in die Hand nähmen. Gleichwohl freuen wir uns über die Vielfalt der Branche und darüber, dass wir mit so vielen Repräsentantinnen und Repräsentanten intensiv und vertrauensvoll zusammenarbeiten können. Dass dieses gute Verhältnis fortbesteht und auch gelebt wird, wünsche ich mir sehr.


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© hesh.design & Wecandance

6. Kreativwirtschaftsbericht: Kreativität und Verantwortung

Konsum, Nachhaltigkeit, faire Löhne, Diversität: Mit dem 6. Kultur- und Kreativwirtschaftsbericht stellt das Land Hessen auf knapp 150 Seiten das Thema „Kreativität und Verantwortung“ in den Vordergrund. Hessens Kreative zeigen in Gastbeiträgen, Interviews und Best-Practice-Beispielen Perspektiven für die Zukunft auf. Mit aktuellen wirtschaftlichen Daten und Fakten macht der Bericht einmal mehr deutlich, wie wichtig diese Branche für unseren Standort ist. 

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