Südseite des Ernst Ludwig-Haus (1901), seit 1990 Museum Künstlerkolonie
© Bildarchiv Foto Marburg, Foto: Norbert Latocha

ÜBER DIE ENTSTEHUNG DER KÜNSTLERKOLONIE DARMSTADT AUF DER MATHILDENHÖHE

Dr. Philipp Gutbrod im Gespräch mit Prof. Georg-Christof Bertsch

Wieso hat Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein die Künstlerkolonie Darmstadt auf der Mathildenhöhe überhaupt gegründet?

Ernst Ludwig ging es darum, sein Großherzogtum wirtschaftlich zu stärken und dessen Hauptstadt Darmstadt weltweit berühmt zu machen. Das war ein voll durchdachtes Konzept von Stadt- und Regionalmarketing. Dazu beigetragen haben die Architekten, Designer und Künstler von Weltrang, die er aus den europäischen Metropolen abwarb.

Wie ist es ihm gelungen, Darmstadt praktisch von 0 auf 100 ins Rampenlicht der Architektur- und Kunstwelt zu bringen?

Durch die konsequente Entwicklung eines gigantischen Freiraums der Gestaltung: die Mathildenhöhe Darmstadt als großes Experimentierfeld. Hier konnte die Avantgarde der Zeit entwerfen und bauen, was sie wollte. Entscheidend war Ernst Ludwigs massive PR-Arbeit in Zusammenarbeit mit erstklassigen Fotografen und dem weltweit erfolgreichen Verleger Alex Koch. Koch ermutigte den jungen Ernst Ludwig 1897 überhaupt erst zu diesem Schritt. Er sagte: Wir haben JETZT die Chance, DAS Zentrum des zeitgenössischen Designs zu werden, bevor dies München, Dresden oder Berlin werden. Und das hat Ernst Ludwig tatsächlich in die Tat umgesetzt. Koch hat dann von Darmstadt aus die Aktivitäten der Künstlerkolonie in seinen Kunstzeitschriften weltweit bekannt gemacht.

»Ernst Ludwig sah: Zeitgenössisches Cutting Edge-Design hat eine ganz starke Wirkung. Es setzt Energien frei.«

Dr. Philipp Gutbrod

Was war Ernst Ludwigs Grundüberzeugung?

Die lag darin, Kreativität und Kultur nicht als nice-to-have zu betrachten, sondern als GRUNDLAGE der ökonomischen Entwicklung des Landes. Dazu verknüpfte er Kultur-, Wirtschafts- und Technologieförderung zu einem einzigen Ganzen. Angeregt dazu wurde er von der britischen Arts & Crafts-Bewegung, einer Gruppe von progressiven Designern und Architekten, die gegen die Massenproduktion von schlecht gestalteten Produkten auftrat.

Das Großherzogtum Hessen hatte im 19. Jahrhundert eine politisch autoritäre Tradition. Er hat als sozial engagierter Regierungschef mit dieser Tradition gebrochen. Warum?

Das geht eindeutig auf seine Mutter Alice zurück, die sich nicht nur umfassend für Kultur interessiert hat, sondern auch sehr sozial eingestellt war. Sie hat zum Beispiel mit Luise Büchner, der Schwester von Georg Büchner, einen Kranken- und Armenpflegeverein gegründet. Als seine Mutter früh starb, wuchs Ernst Ludwig bei seiner Großmutter Queen Victoria in England auf. Victoria wollte durch Heiratspolitik in Europa Frieden schaffen. In Schloss Wolfsgarten bei Langen traf sich demnach bis 1914 die Verwandtschaft aus dem Haus Hessen-Darmstadt, dem englischen Königshaus und dem russischen Zarenhaus.


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© privat

Dr. Philipp Gutbrod

Direktor des Instituts Mathildenhöhe Darmstadt

Dr. Philipp Gutbrod, 50, ist seit 2011 auf der Mathildenhöhe aktiv. Seit 2015 ist er Direktor des Instituts Mathildenhöhe Darmstadt, das für sämtliche Ausstellungen im Ausstellungsgebäude und im Museum Künstlerkolonie verantwortlich ist. Außerdem verwaltet er die Städtische Kunstsammlung Darmstadt. Er war Teil des Welterbeteams, dem es in einem jahrelangen Bewerbungsverfahren mit regionaler, überregionaler und internationaler Unterstützung gelungen ist, dass die Mathildenhöhe Darmstadt im Sommer 2021 in die UNESCO Welterbeliste eingetragen worden ist.

https://www.mathildenhoehe.eu/


Header-Bild: Südseite des Ernst Ludwig-Haus (1901), seit 1990 Museum Künstlerkolonie

© Bildarchiv Foto Marburg, Foto: Norbert Latocha

Veröffentlicht: 24.03.2022


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