Riviera 2019 - Tag 2
© Christina Schuller

"Immer mehr Musikschaffende bleiben hier!“

Die Stadt Offenbach verfügt über ein vielfältiges Spektrum an Musikveranstaltungen und -angeboten. Ein Gespräch mit Sabine-Lydia Schmidt, Kulturreferentin der Stadt Offenbach am Main, über die Musikwirtschaft vor Ort und deren Möglichkeiten und Herausforderungen.

Ist Offenbach eine Musikstadt?

Auf jeden Fall! Man könnte das sogar historisch betrachten, da in Offenbach die ersten Mozart-Noten im Musikverlag André vervielfältigt wurden. In den 90er Jahren entstand dann zum Beispiel das LOGIC-Haus, das jetzt ein wichtiges Proberaum- und Kreativzentrum ist. Es entwickelte sich etwa zur selben Zeit auch eine starke elektronische Musikszene, unter anderem um die Labelgruppe Ongaku, Playhouse und Klangelektronik. Heute haben wir sehr viele privatwirtschaftlich betriebene Studios, Labels, Clubs, Veranstalter, Kollektive und Distributionsagenturen. Sowohl in der Kommune 2010, als auch in den Zollamt Studios arbeiten viele Musikerinnen und Musiker, außerdem sitzt dort das Institut für Klangforschung

Offenbach hat auch ein eigenes Sinfonieorchester. Und wenn eine Stadt in der Größenordnung von Offenbach, mit seinen ca. 143 100 Einwohnern (Stadt Offenbach), sich ein eigenes Sinfonieorchester zulegt, sagt das schon einiges aus.

Was ist hier am Standort in puncto Musik ein besonderes Merkmal?

Ich würde sagen, das starke Selbst-Management der Künstlerinnen und Künstler. Viele produzieren selbstständig und in "Erwerbspatchworks“, das heißt es gibt ein richtiges Musikökosystem, in dem alle miteinander arbeiten. Das hat bestimmt auch viel mit der Hochschule für Gestaltung (HfG) zu tun, aber auch mit dem Standortfaktor Offenbach und FrankfurtRheinMain, wo so viel an der Schnittstelle zu Gaming, Motiondesign und Mode passiert. Da gibt es unheimlich große Entwicklungsmöglichkeiten.

Wie trägt die Stadt zu einer blühenden Musikwirtschaft in Offenbach bei?

Als Amt für Kulturmanagement haben wir, zusammen mit der Wirtschaftsförderung, auf jeden Fall das Potenzial der Musikwirtschaft in Offenbach erkannt und würden dieses gerne weiterentwickeln. 2018 starteten wir mit dem Riviera Festival. Das hat mittlerweile auch einen etablierten Konferenzteil und einen Blog. Mit diesem Format möchten wir für die Musikschaffenden in der Region zur vernetzenden Stelle werden. Außerdem hoffen wir mehr Förderberatung anbieten zu können, beispielsweise mit öffentlichen Terminen und Online Workshops.

Wir beraten, vergeben aber auch Fördermittel. Erstmal primär an Kulturvereine und Initiativen, aber in manchen Fällen auch für Einzelprojekte in den Bereichen Musik, Kunst und Kultur.

Auftritt der Band „Baby of Control“ beim Riviera Festival 2021 Offenbach.
© Dominik Dresel
Auftritt der Band „Baby of Control“ beim Riviera Festival 2021 Offenbach.

Was gab den Anstoß zum Festival?

Das Riviera Festival ist als langzeitiges Projekt angelegt und findet immer am ersten Septemberwochenende statt. Die Intention war, Offenbach in all seiner musikalischen Vielfältigkeit für ein Wochenende zu zeigen. Einmal um die Unterschiedlichkeit der bestehenden Kulturorte hervorzuheben, die alle für ihren eigenen Sound stehen. Dabei ist uns aber auch wichtig, jedes Jahr neu durchzumischen. Gerade weil immer mal wieder ein neuer Off-Space dazu kommt oder neue Räume erschlossen werden. 2022 war zum Beispiel das erste Mal die Grace Studio Bar dabei, die ein Kreativwirtschaftsförderprojekt der Stadt Offenbach ist. Diese hat sich als Eventagentur und Bar, Räume erschlossen. Wir versuchen aber auch Vereine, wie unsere Seglervereinigung RheinMain, die unser Shuttle Boot fährt, mit einzubinden. Oder den Hafengarten, der eigentlich ein Urban Gardening Gelände ist und letztes Jahr Spot für Konzerte war. Dieses Jahr wurde dort ein Urban Graffiti Jam ausgerichtet.

Jeder bringt sich ein, während wir gleichzeitig ein hochwertiges Musikprogramm kuratieren, das wir gemeinsam mit den Veranstaltungsorten absprechen. Dabei möchten wir örtliche Musikschaffende und Locations mit nationalen Akteuren zusammenbringen. Es hat uns daher gefreut, dass z.B. Pape aus Offenbach gespielt und sich das Popkulturfestival Berlin direkt danach für einen Auftritt interessiert hat.

Natürlich gibt es auch andere wiederkehrende Formate. Was im Juli 2023 kommen wird, ist das Theater der Welt Festival, für das Offenbach das komplette musikalische Programm kuratieren wird. Dort werden wir versuchen, auch möglichst viele lokale Akteure mit nationalen und internationalen Headlinern zusammenbringen.

Wurde das Riviera Festival gut angenommen?

Coronabedingt war die Auslastung dieses Jahr nicht so hoch wie wir ursprünglich vorgesehen hatten, aber es war an allen Venues eine super Stimmung und das ist die Hauptsache. Es wird also supergut angenommen.

»Besonders schön ist die Möglichkeit in Offenbach durch die Nacht zu gleiten und so viel Neues entdecken zu können.«

Man kann die Fahrradwege am Main entlangfahren und am Waggon ist draußen Musik, man kommt auf das Gelände der Parkside Studios, das zu einem großen Innovativ Campus entwickelt wird, und dort in der alten Vorstandskantine vom Clariantgelände finden Konzerte, nebenan Kunstausstellungen statt. Da wird auch mal die Nacht zum Tag. 

Zum Einstieg in das Rivera Festival 2022 fand ein Konferenztag statt. An wen war dieser gerichtet und was waren dort die wichtigsten Themen?

Wir haben jedes Jahr ein Oberthema. Das war dieses Jahr „der Standort“. Was macht einen Standort attraktiv oder was kann der Entwicklung eines Standortes im Wege stehen? Wir haben uns auch mit der Initiative Musik über Förderungen für Musikerinnen und Musiker aus Hessen unterhalten. Und wir griffen das Thema nochmal ganz anders auf: Also was bedeutet es eigentlich, wenn man einen Standort verlassen muss? Wir hatten die Band Chillera aus der Ukraine auf dem Podium, mit der wir darüber geredet haben, wie das ist, wenn man nicht am Standort bleiben kann – vor allem unfreiwillig. Danach spielten die drei noch ein Konzert in der Kapelle der HfG.

Welches Thema erwartet uns dieses Jahr?

„Energie“. Natürlich ganz aktuell Energiesparmaßnahmen etc. Wie können wir in der Club- und Kulturindustrie nachhaltiger arbeiten? Aber auch die eigenen Energiereserven, Stichwort Mental Health und Support. Viele Künstlerinnen und Künstler sind nach der Pandemie ausgepowert oder müssen neue Energie schöpfen. Wie kann man da Absicherung schaffen?

Filmvorführung im „Hafenkino“ Offenbach.
© Dominik Dresel
Filmvorführung im „Hafenkino“ Offenbach.

Was braucht es neben solchen Aktivitäten noch, um eine Stadt attraktiv zu machen für Musiker, Produzenten etc.?

Natürlich ist erst mal ein gutes Flächenmanagement (also die Vermittlung von Flächen) nötig. Wir müssen räumliche Bedarfe verstehen und steuern, Arbeitsräume schaffen bzw. dabei helfen, und die Bedingungen für die Musik- und Nachtökonomie nachhaltig stärken. Dazu gehört zum Beispiel auch mitzudenken, wenn es um Lautstärkemission geht. Das bedeutet auch immer, dass eine positive Haltung der Stadt gewährleistet sein muss. Man kann schlecht irgendwo Kultur ansiedeln, um dann festzustellen, dass es ständig Probleme mit der Lautstärke gibt. Offenbachs Zukunftskonzept Innenstadt denkt hier deshalb viele Möglichkeitsräume mit, zum Beispiel wird im Moment die Nutzung des Rathaus Pavillons als soziokultureller Treffpunkt erprobt, das geschieht nicht zuletzt durch künstlerische und musikalische Interventionen. Auch unsere Wetter- und Klimawerkstatt wird ein neuer Veranstaltungsraum und Zukunftslabor, wo von Streichquartett bis DJ oder Kinoabend alles möglich sein kann.

Dann braucht es auch Netzwerkaktivitäten, mit echten Menschen an echten Orten, damit man sich als Musik- oder Kulturschaffende nicht alleingelassen oder alleinkämpferisch sieht, und wir nachhaltige Rahmenbedingungen für ein diverses Kulturschaffen bilden können. Und das kann beispielsweise städtisch angesiedelt sein. Das ist für den Austausch und den Zusammenhalt sehr wichtig. Wir wollen das vor allem durch Konferenzen und Workshops unterstützen. Auch innovative Veranstaltungsformate mit Beteiligungsprozessen sind sehr attraktiv.

Mit der geografischen Nähe zu Frankfurt, ist es da schwierig die Musikerinnen und Musiker im Ort zu behalten?

Ganz und gar nicht, eher andersherum. In Frankfurt werden sich wohl einige Strukturen festigen, da es dort jetzt einen neuen Musikbeauftragten im Kulturamt gibt und wir hoffen, dass daraus eine Kooperation hervorgehen wird. Eine Konkurrenzsituation gibt es da eher nicht.

Hier sind auch Organisationen wie „Clubs am Main“ und „Live in Hessen“ angesiedelt. Was macht die RheinMainRegion zu einem besonderen Standort für die Musikbranche?

»Ich glaube tatsächlich, dass immer mehr Musikschaffende hierbleiben und nicht mehr dieses starke Bedürfnis existiert, zum Beispiel nach Hamburg oder Berlin zu gehen.«

Verbände wie Live in Hessen e.V. finde ich total wichtig für die Livespielstätten. Die bieten auch ein super Workshop-Programm für Veranstalterinnen an, haben nachhaltige Ziele in der Clubkultur. Man erkennt mittlerweile auch FrankfurtRheinMain, Offenbach, Darmstadt und Wiesbaden als Standorte an, an denen man bleiben möchte. Es entwickelt sich auch viel Neues, gerade für die Musikschaffenden aber auch vor allem für die Rezipierenden und Clubgäste. Es entstehen Formate wie Sounds like Hessen und das Onlineradio EOS wurde gegründet. Auch habe ich das Gefühl, es wird mehr berichtet und wahrgenommen, es entsteht also ein größerer medialer Radius für alle. Drumherum etablieren sich neue Festivals, wie zum Beispiel das El Barrio, das Golden Leaves und natürlich unser Riviera Festival. Auch neue interdisziplinäre Formate haben sich ergeben, zum Beispiel Schnittstellen zwischen Architektur, Design und Musik, wie etwa Commune 6x3.

Das Gebäude der LOGIC Records in Offenbach.
© Jessica Schäfer
Das Gebäude der LOGIC Records in Offenbach.

Was erhofft ihr euch für die Zukunft der Musikbranche in Offenbach?

Wir hoffen neue eigene Förderstrukturen schaffen zu können und bürokratische Hürden abzubauen. Das bedeutet für uns auch, Zusammenarbeit mit den großen Institutionen wie die Initiative Musik und den Musikfonds. Wir wollen Projekte beraten, um zielgenau gemeinsam mit Musikerinnen und Musikern Fördermittel akquirieren zu können, die dann in unser Musikökosystem einfliessen und helfen, anspruchsvolle Formate und neue Perspektiven zu entwickeln.Die innovative Kraft der Popkultur, ihrer Communities und kollektiven Arbeitsweisen beeinflusst ja nicht nur genannte Stadtentwicklungsprozesse, sondern auch ganz einfach gesagt die Entwicklung junger Menschen und deren Haltungen.

Dafür wollen wir gerne mehr Best-practise Beispiele auf Landes- und Bundesebene einladen. Also bestehende Formate nach Offenbach bringen, wie zum Beispiel schon mit Clubtopia Workshops und hoffen, dass junge Unternehmen im Bereich Musikwirtschaft nach Offenbach kommen. Beispielweise sind wir eine langjährige Kooperation eingegangen mit Making Vinyl, die ein Branchentreffen im Bereich Vinyl und analoge physische Tonträger veranstalten, welches 2022 parallel zum Riviera Festival im Capitol Theater gehalten wurde. Das ist auf jeden Fall eine Branche, die wir ansprechen wollen und da ist natürlich der größte Wunsch, dass ein Vinyl-Presswerk in Offenbach eröffnet.

»Das Ziel unserer Arbeit ist eine größere Kommunikation zwischen allen Akteuren zu schaffen. Egal ob zwischen Studios, Clubs, Labels oder eben den Musikerinnen und Musikern selbst.«

Da wollen wir uns breiter aufstellen und eben in dieser Branchenvielfalt die Offenbach hat, wie zum Beispiel Design und Gaming, erreichen, dass die Musikbranche als ein genauso wichtiger Standortfaktor erkannt wird.

Vielen Dank für die Einblicke in die musikalischen Seiten von Offenbach!

Das Gespräch führte: Anna Sommer

Redaktion & Lektorat: Daniela Hartmann und Regina Giebel



Sabine-Lydia Schmidt
© Robert Schittko

Sabine-Lydia Schmidt

Kulturreferentin der Stadt Offenbach am Main

Sabine-Lydia Schmidt absolvierte an der HfG Offenbach ein Studium im Fachbereich Experimentelle Raumkonzepte und studierte an der Hochschule Darmstadt Sound- und Music-Production. Seit 2016 ist sie Kulturreferentin der Stadt Offenbach am Main und widmet ihre Arbeit der Popkultur und Kreativwirtschaft, sie führt ein Independent-Plattenlabel und arbeitet als freie Musikkuratorin. Konzeptionell beschäftigt sie sich mit den Themen Institutionalisierungen und Vernetzung von Subkulturen. Seit 2021 promoviert sie an der HfG interdisziplinär in Kunstgeschichte und Design bei Prof. Christian Janecke und Prof. Markus Holzbach zum Thema Musikpavillons in Kurorten.


Kulturmanagement Offenbach

Amt für Kulturmanagement der Stadt Offenbach am Main

Im Amt für Kulturmanagement der Stadt Offenbach am Main sind Veranstaltungen, Reihen und Projekte außerhalb der Institutionen und das strategische Kulturmarketing angesiedelt. Zu den Aktivitäten des Kulturmanagements gehören neben dem Riviera Festival auch die Offenbacher Kunstansichten, die Wetter- und Klimawerkstatt in Kooperation mit der Wirtschaftsförderung und dem Deutschen Wetterdienst, die Offenbacher Kurkonzerte oder auch die Classic Lounge im Capitol Theater mit eigenem Symphonieorchester. Ein wichtiger Bestandteil im Bereich des Kulturmanagements ist zudem die intensive Beratung und Hilfestellung - zum Beispiel zu den Themen Förderung, Inklusion, Veranstaltungsbewerbung, für Kulturschaffende, Kulturvereine und -initiativen sowie die freie Szene in Offenbach.

Amt für Kulturmanagement | Stadt Offenbach

Veröffentlicht: 13.02.2023


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