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© Claudia Zimmer

"Man sollte nicht hungrig einkaufen gehen!"

Interview mit Modedesignerin Claudia Zimmer

Modedesignerin Claudia Zimmer veredelt seit 2018 in ihrem "Atelier O18" in der Wiesbadener Innenstadt Fehlkäufe – und setzt damit einen Kontrapunkt zum "Immer Neu" der Modeindustrie. Wie sie auf diese Idee kam und was ihre Kundinnen und Kunden an dem Konzept schätzen, hat sie uns in unseren "4 Fragen an..." verraten.

Sie veredeln in Ihrem Atelier in Wiesbaden Fehlkäufe. Wie kam es zu der Idee und was steckt konkret dahinter?

Mein Atelier ist eine "Konzeptschneiderei". Das heißt, dass hinter dem Schneidern so viel mehr steckt als Neuanfertigung oder Änderung. So kamen schnell Ideen auf wie die Veränderung und Aufwertung von geliebten oder nie geliebten Kleidungsstücken. Fast jede und jeder hat irgendwelche, oft auch teure Fehlkäufe im Schrank hängen, von denen man sich aus irgendeinem Grund noch nicht getrennt hat, obwohl diese höchstens einmal oder noch nie getragen wurden.

So individuell wie die Ansprüche und Styles der Kundinnen und Kunden, sind auch die Aufgabenstellungen: ein Abendkleid, das man aus der Not heraus gekauft hat, soll alltagstauglich gemacht werden; im Sommerurlaub war man braungebrannt und beschwipst und sehr mutig, bei mir wird das Outfit dann etwas "abgespeckt" und durch Stoffe in typgerechten Farben ergänzt; oder aus zwei Kleidern wird eins gemacht, weil man seinen Stil verändern möchte. Auch eine langweilige Jacke kann durch neue Details wie Taschen, Kragen oder ein kontrastives Innenfutter "aufgemotzt" werden.

Dirndl neu interpretiert: Das Mieder in der Taille besteht aus einem bestickten Vintage-Tastenläufer für Klaviere.
© Claudia Zimmer
Dirndl neu interpretiert: Das Mieder in der Taille besteht aus einem bestickten Vintage-Tastenläufer für Klaviere.

Sie setzen mit der Veredelung von bereits gekauften Stücken einen Kontrapunkt zum "Immer-Neu" der Fast Fashion-Industrie. Was sind die Vorteile, neben dem Nachhaltigkeitsaspekt, wenn man Fehlkäufe veredelt?

Seinen Kleiderschrank zu überdenken, ihn frisch und begehrlich zu machen – und das, ohne etwas Neues zu kaufen – gibt ein gutes Gefühl und passt zum Nachhaltigkeitsgedanken. Immerhin fand man dieses Teil zumindest im Laden ganz wunderbar. Zugleich ist es auch eine Wertschätzung der Arbeit, die in einem fertigen Kleidungsstück steckt; und natürlich auch der Materialien und Rohstoffe.

Meine Kundinnen und Kunden wollen etwas Besonderes, Individuelles, ein Unikat. Sie legen Wert auf Langlebigkeit bei gleichzeitiger Modernität. Gleichzeitig schätzen sie die handwerkliche Arbeit und bevorzugen hochwertige Materialien. Dabei kommen auch immer mehr öko-zertifizierte und recycelte Stoffe zum Einsatz. Das Mitwirken am kreativen Prozess, insbesondere bei der Umgestaltung von Fehlkäufen, ist für viele eine ganz neue Erfahrung.

Große Modeketten werben damit, Kleidung zu recyceln. Handelt es sich dabei nur um Green Washing, oder ist es tatsächlich ein Schritt in Richtung einer umweltverträglicheren Industrie?

Natürlich ist nicht alles öko und bio, wo öko und bio draufsteht. Die Unternehmen geraten allerdings zunehmend durch sogenannte Textilsiegel unter Druck. Grüner Knopf, IVNBest, Oeko Tex sind einige der Gütesiegel, die für bestimmte Qualitätsstandards in der Textilindustrie stehen. Das betrifft nicht nur Chemikalien und Wasserverbrauch, sondern auch soziale Komponenten. Letztlich sind die Kaufentscheidungen von Kunden maßgebend, die sich über solche Standards informieren und konsequent danach auswählen.

Was sind die Gründe für Fehlkäufe und haben Sie einen bewährten Tipp, wie man sie vermeiden kann?

Fehlkäufe resultieren aus verschiedenen Gründen: man ist in Kauflaune, man ist gerade auf dem "Abnehm-Trip" und fühlt sich herrlich beschwingt, man findet die Freundin in dem Teil toll und möchte es auch haben, obwohl es gar nicht zu einem passt… man bekommt von einem lieben Menschen ein Outfit geschenkt, das zwar von Herzen kommt, aber leider nicht typgerecht ist. Aber auch Kompensations- oder Frustkäufe sind häufig. Und natürlich passiert es beim Online-Shopping des Öfteren, dass man die Rücksendefrist verpasst.

Grundsätzlich gilt das gleiche wie beim Einkauf von Lebensmitteln: Man sollte nicht hungrig einkaufen gehen! Bevor man auf Shopping-Tour geht, sollte man sich nochmal überlegen: Was brauche oder will ich wirklich? Und: Was passt zu mir und meiner bestehenden Garderobe? Und dann nur kaufen, wenn man sich wirklich in dem Modell gefällt. Bei Online-Bestellungen ist es noch einfacher: da kann man zuhause in Ruhe und nach Lust und Laune das neue Stück anprobieren und kombinieren.

Apropos Lust: Seien wir ehrlich – ist es nicht einfach wunderbar, sich spontan etwas total Verrücktes zuzulegen? Und wenn es dann wirklich in der hintersten Ecke des Kleiderschranks landet, bin ich ja da, um es zu neuem Leben zu erwecken…


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© Sebastian Matthias

Claudia Zimmer

Modedesignerin und Gründerin des "Atelier O18"

Claudia Zimmer hat sich im Juni 2018 mit der Eröffnung ihres "Atelier O18" einen Traum erfüllt. Seitdem fertigt sie hochwertige Unikate und veredelt Fehlkäufe in der Wiesbadener Innenstadt. Nach einer klassischen Schneiderlehre hat sie Modedesign studiert. Bereits als Kind hat sie die von ihrer Mutter, ebenfalls gelernte Schneiderin, selbst genähte und umgearbeitete Kleidung lieber getragen als neue Stücke. Nachdem sie 15 Jahre für deutsche Bekleidungsfirmen im Ausland als Produktionsleiterin tätig war, ist sie nach Deutschland zurückgekehrt. Seit 2019 ist sie Dozentin an der AMD Akademie Mode & Design in Wiesbaden. Dort unterrichtet sie Bekleidungstechnologie und Fertigungstechnik.

Veröffentlicht: 05.07.2021


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