Robert Wienröder am Klavier
© privat

"Wir hatten auch viel Glück"

Ein Gespräch mit dem aus Fulda stammenden Musiker Robert Wienröder über die Nominierung bei den Emmy-Awards

Aus Fulda, genauer gesagt dem Zimmer seiner Schwester, hat Emmy-Anwärter Robert Wienröder sich zum Interview per Videokonferenz mit uns getroffen. Gemeinsam mit Bandkollegin Anna Hauss ("Still in the Woods") und Filmproduzent William Horberg hat er den Song "I Can't Remember Love" für die Netflix-Serie "The Queens Gambit" geschrieben. In der Kategorie "Outstanding Original Music And Lyrics" sind die drei jetzt für einen Emmy-Award nominiert. Wir haben mit dem 30-jährigen Musiker über seine ersten musikalischen Gehversuche in Fulda und seine weitere Reise – über Berlin bis nach L.A. – gesprochen.

Robert, erstmal herzlichen Glückwunsch zur Emmy-Nominierung. Wir wollen mit dir zunächst zurück auf Anfang gehen und im Schnelldurchlauf erfahren: Was ist deine früheste musikalische Erinnerung?

Ich erinnere mich noch gut, dass ich, etwa fünf Jahre alt, Gästen meiner Eltern immer unbedingt etwas auf dem Klavier vorspielen wollte. Das war noch bevor ich Klavierunterricht nehmen durfte.

Du hast also früh das Publikum gesucht. Was war deine erste Auftrittserfahrung?

In der Musikschule Fulda, wo ich Unterricht bei Nikolaus Frey hatte, gab es im Gewölbekeller alle paar Monate kleine Konzerte. Einmal hatte ich mitten im Lied ein totales Blackout und musste aufhören. Das war vielleicht nicht die erste, aber für mich als Grundschulkind damals eine krasse Erfahrung.

Sicher nicht leicht, sowas hinter sich zu lassen?

Während das Konzert noch lief, hat mich mein Lehrer ermutigt, nochmal auf die Bühne zu gehen. Aber ich wollte nicht mehr. Trotzdem ist es mir danach nicht nochmal passiert. Ich glaube, danach war ich nicht nochmal so aufgeregt. Denn ich hatte gelernt, selbst wenn der "worst case" eintritt, lacht mich niemand aus.

Du bist zum Studium nach Berlin gegangen, auch heute lebst und arbeitest du dort. Wie wichtig war Deine Heimat für deinen beruflichen Erfolg?

In Fulda habe ich bei Frank Tischer erste Improvisationen gelernt, von ihm bin ich dann zu Wolfgang Harling gegangen. Er ist Jazz-Musiker, eigentlich Bassist, aber eben auch ein guter Pianist. Manchmal hat er mit mir sonntags drei Stunden Unterricht gemacht, obwohl er nur für 45 Minuten bezahlt wurde. Einfach weil er Lust hatte, Leute zu unterstützen.

Außerdem war ich in der Big Band meiner Schule in Fulda, gegründet und seither geleitet von Robert Klier. Das hat wahnsinnig viel Spaß gemacht und darüber bin ich auch ins Landesjugend-Jazz-Orchester gekommen. Der Unterricht hat mich technisch weit gebracht, aber die Big Band war der Ort, an dem ich die Musik ausleben konnte, was mich letztlich dazu gebracht hat, das machen zu wollen, was ich heute tue.

Wann hast du das erste Mal selbst komponiert?

Bei Frank Tischer habe ich mit dem Improvisieren angefangen und die Übergänge von Improvisation zu Komposition sind sehr fließend. Regelmäßig selbst komponiert habe ich aber erst in Berlin, das war teilweise auch Bestandteil des Studiums.

In welchen Momenten bist du kreativ?

Ich fände es toll, wenn ich das genau beantworten könnte, denn dann wären diese Momente leicht zu reproduzieren und ich könnte mich einfach dazu bringen, kreativ zu sein. Ich war in den letzten Jahren oft im Sommer in Finnland. In der dort herrschenden Ruhe habe ich viele Lieder an meinem E-Piano komponiert. Dort sind oft Stücke entstanden, auf die ich auch heute noch sehr stolz bin.

Genauso ist es aber auch schon passiert, dass ich an einem stressigen Tag noch schnell etwas für die Uni üben wollte, mich verspielt habe und dann aus diesem Fehler ein neues Stück entstanden ist.

Wie hat die Corona-Pandemie dein berufliches Leben und kreatives Schaffen beeinflusst? Und wie bist du mit deiner Band "Still in the Woods" durch die letzten anderthalb Jahre gekommen?

Ich hatte das Glück, dass ich Ende Februar 2020 noch mein Abschluss-Konzert an der Uni halten konnte. Viele in meinem Jahrgang mussten lange darauf warten oder warten noch heute darauf. 

2018 hatten wir mit "Still in the Woods" 50 Konzerte, 2019 haben wir eine Albumproduktion gemacht, die wir uns dank der vielen Konzerte auch leisten konnten. 2020 waren es dann nur fünf Konzerte. Dadurch lief auch alles andere sehr schleppend, neue Aufnahmen zu machen und so weiter. Es ist schade, denn wir waren gerade an dem Punkt, wo wir versuchen wollten, unsere Gagen nicht mehr in Auftritte und Aufnahmen zu reinvestieren. Wir wollten von unseren Gagen leben. Durch die Lehrer-Jobs, die weiterliefen, war das letzte Jahr zwar finanziell in Ordnung, aber es hat uns in der Entwicklung schon gebremst.

Wart ihr trotzdem kreativ im letzten Jahr?

Nachdem wir drei Monate nichts gemacht hatten, was gut war nach sehr arbeitsreichen Monaten davor, haben wir uns zu Proben getroffen und 20 Lieder geschrieben. Wir waren also durchaus kreativ, auch wenn wir manche der Lieder wieder verworfen haben.

Für die Netflix-Serie "The Queens Gambit" bist du gemeinsam mit Anna Hauss und William Horberg für einen Emmy nominiert. Ein toller Erfolg!

Es hat alles immer zwei Seiten. Es ist cool, wenn man das Glück hat und es klappt, dass man für einen Emmy nominiert ist. Auf der anderen Seite ist das kein transparenter Bewerbungsprozess. Man hat vielleicht mal das Glück, im richtigen Moment die richtige Person zu treffen, und dann hat man die nächsten Male wieder nicht das Glück.

Robert Wienröder im Video-Gespräch
Robert Wienröder im Video-Gespräch

Und ihr hattet das Glück. Wie kam’s?

In der Serie gibt es eine Stiefmutter, die in einer Folge Klavier spielt. Die Schauspielerin selbst konnte kein Klavier spielen, weshalb sie Anna als ihr Hand-Double gebucht haben. Für drei Tage war sie am Set, immer abwartend, wann sie drankommt. Es gab also reichlich Zeit, um ins Gespräch zu kommen und Leute kennenzulernen. Sie hat von ihrer Band erzählt und alle, die sie traf, zu unserem Release-Konzert eingeladen, das wenige Tage später stattgefunden hat. Einer von den Leuten, die sie eingeladen hatte, war William Horberg, der Produzent der Serie. Das war ihr nicht klar!

Er kam dann tatsächlich zu unserem Release-Konzert, ein wichtiger Hollywood-Produzent! (lacht)

Und er fand es richtig toll. Im Anschluss hat er Anna und mich eingeladen, zusammen mit ihm Musik zu machen. Er erzählte uns da, dass er versuchen werde, in der Serie einen Spot zu finden, besonders für Anna. Wenn ich es richtig erinnere, gab es die Szene, in der unser Lied vorkommt, ursprünglich gar nicht, beziehungsweise war sie anders geplant.

Wow. Wie seid ihr beim Komponieren dann vorgegangen?

William hat den Text geschrieben und uns gebeten, daraus ein 60er-Jahre Jazz-Standard zu machen. Die Melodie kam zu einem großen Teil von Anna. Als Sängerin ist das meistens so, dass sie sich die Melodien so überlegt, dass sie dann auch gut klingen für ihre Stimme. Ich bin zuständig für die Harmonien und dass es musikalisch gut zusammenpasst.

William ist dann mit der Aufnahme zum Regisseur gegangen und hat ihm von seiner Idee für die vorletzte Folge erzählt. Der Regisseur fand das Lied so cool, dass er es tatsächlich in einer Szene mit Anna als Sängerin in die Serie genommen hat. Aber auch nach dem Dreh wussten wir nicht sicher, ob die Szene tatsächlich reingenommen wird.

In besagter Szene sieht man die Hauptdarstellerin allein in einem Restaurant sitzend, Anna singt das Lied auf der Bühne. Die Kamera verweilt lange auf dem Gesicht der Protagonistin, man hat den Eindruck, Anna verleiht ihren Gedanken Ausdruck.

Die Filmszene erhält nicht zuletzt durch euer Stück viel Emotionalität. Wie viel bedeutet es dir?

Es ist ein sehr emotionales Lied. Das Ungewöhnliche für uns bei diesem Stück war, dass der Text nicht von uns kam. Zudem gab es eine stilistische Vorgabe. Wir haben natürlich versucht, im Rahmen dieser beiden Vorgaben etwas Individuelles zu schaffen. Wenn ich ehrlich bin, fühle ich mich dem Lied nicht ganz so stark verbunden wie den Liedern, die wir mit "Still in the Woods" gemacht haben. Bei denen hatten wir keine Vorgaben. Es steckt viel von uns in "I Can't Remember Love", aber eben nicht ganz so viel, wie bei den anderen Liedern, die zu 100 Prozent widerspiegeln, was wir uns dabei gedacht haben.

Das Lied hat bei Spotify 3 Millionen Aufrufe. Ich bin sehr froh darüber und über alle die glücklichen Zufälle. Trotzdem fragt man sich: Könnte nicht ein Song von "Still in the Woods" wenigstens halb so erfolgreich sein? (lacht) Es ist schon krass die Diskrepanz zu sehen zwischen der Kunst, die man macht, und einer Auftragsarbeit, die dank bestimmter Kanäle extrem groß geworden ist.

Ihr solltet unbedingt Band-Shirts bei der Emmy-Verleihung anziehen.

(lacht) Wir haben gestern erfahren, dass es einen strengen Dresscode gibt. Ich habe mir eben einen Smoking gekauft, also leider keine Band-Shirts.

»Das Lied hat bei Spotify 3 Millionen Aufrufe. Ich bin sehr froh darüber und über alle die glücklichen Zufälle. Aber es ist schon krass die Diskrepanz zu sehen zwischen der Kunst, die man macht, und einer Auftragsarbeit, die dank bestimmter Kanäle extrem groß geworden ist.«

Hat sich die Arbeit für Netflix finanziell gelohnt?

Ich habe nicht viele Vergleichswerte. Für mein Gefühl wurden die Komposition und die Studioaufnahme fair bezahlt. Da die Serie ein großer Erfolg war, was vorher keiner wissen konnte, werden noch Ausschüttungen kommen von GEMA und anderen Verwertungsgesellschaften weltweit. Wie hoch das sein wird, wird sich erst noch rausstellen und kann mehrere Jahre dauern. Ich kann deshalb gar nicht einschätzen, wie sehr sich das gelohnt hat.

Die Region Fulda will dich zum Kreativ-Botschafter der Region machen. Siehst du dich als Vorbild?

Dass man so einen coolen Erfolg hat, hängt wie gesagt auch von sehr viel Glück ab. Ich finde man kann schwer sagen, dass man ein Vorbild ist, weil man Glück hatte.

Die Emmy-Verleihung findet am 12. September in L.A. statt. Es war nicht immer klar, ob du hinfliegen kannst. Welche Hürden gab es und wie hat es letztlich doch geklappt?

Wir haben im Juni erfahren, dass wir nominiert sind. Anna und ich hatten dann überlegt, Netflix zu fragen, ob sie unsere Reise übernehmen. Dann haben wir uns dagegen entschieden, uns war es unangenehm danach zu fragen. Außerdem sind wir davon ausgegangen, dass wir sowieso nicht einreisen dürfen wegen Corona. Wir hatten uns damit abgefunden, dass es nicht klappt.

Vor vier Wochen hat Netflix uns dann geschrieben, dass sie alles bezahlen würden. Wir dachten: Wow, ihr bezahlt das alles! Aber shit, wir kommen ja gar nicht rein.

Dann war ich zufällig auf Heimatbesuch in Fulda und habe auf einem Event Pia Groß und weitere Kolleginnen und Kollegen von der Region Fulda GmbH kennen gelernt. Sie hatten gerade erst für das Team von "Dirt Torpedo", das nach Las Vegas zu einem Event mit Elon Musk reisen wollte, Einreisegenehmigungen organisiert. Sie haben kurzerhand dasselbe für mich versucht – und es hat geklappt.

Auf was freust du dich am meisten?

Ich freue mich einfach, dort zu sein, neue Leute kennen zu lernen. Es ist mir nicht so wichtig, ob wir gewinnen oder nicht. Von meinem Gefühl her ist es schon das Beste, überhaupt hinfliegen und teilnehmen zu können.

Wir drücken dir und euch die Daumen! Danke für deine Zeit!


Robert Wienröder am Klavier
© privat

Robert Wienröder

Komponist und Pianist

Robert Wienröder wurde 1991 in Fulda geboren. Im Kindesalter erhielt er klassischen Klavierunterricht. Mit Jazz in Berührung kam er erstmals durch die Big Band seiner Schule, mit der er mehrere Preise bei "Jugend jazzt" gewann. Von 2015 bis 2020 studierte er Jazz-Klavier am Jazz-Institut Berlin.

2019 schrieb Wienröder gemeinsam mit der Sängerin Anna Hauss und dem Textdichter William Horberg das Stück "I Can't Remember Love" für die von Netflix produzierte Serie "Das Damengambit" (Originaltitel "The Queen’s Gambit"). Das Stück wie auch die Serie waren ein weltweiter Erfolg. Im Juli 2021 folgte die Nominierung für die Emmys 2021 in der Kategorie "Outstanding Original Music and Lyrics" für "I Can't Remember Love".

https://www.discogs.com/artist...

Veröffentlicht: 09.09.2021


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