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Zwischennutzungen - ein weites Feld für kreative Pioniere

Als Raumberater arbeitet Jakob Sturm an der Schnittstelle zwischen Immobilieneigentümern und Kreativen, die auf der Suche nach Räumen sind. Stichwort Zwischennutzung: Welche Anreize liegen für Kreative in der temporären Nutzung von Räumen und was haben die Immobilieneigentümer davon? Ein Gespräch über Räume für neue Ideen und den noch nachhaltigeren Ansatz der "Pioniernutzung".

Jakob, als Raumberater arbeitest du an der Schnittstelle zwischen Immobilieneigentümern und Kreativen, die auf der Suche nach Räumen sind. Stichwort Zwischennutzung: Welche Anreize siehst du für Kreative in der temporären Nutzung von Räumen?

Zwischennutzung ist natürlich ein weites Feld. Das geht von einmaligen Veranstaltungen bis zu mittelfristigen Anmietungen. Es kommt auch darauf an, was mit dem jeweiligen Objekt geplant ist, ob es abgerissen, neu entwickelt oder vermarktet etc. werden soll. Das definiert jeweils die Ausgangslage. Auch ob es sich um einen öffentlichen oder privaten Eigentümer handelt. Generell gibt es da für Kreative sicher zwei drei wichtige, hochinteressante Gesichtspunkte. Da ist einmal natürlich der Kostenfaktor. Es handelt sich oft um sehr geringe Kosten, manchmal sind die Räume, abgesehen von Neben- oder Energiekosten, sogar kostenfrei. Dann bieten sie von daher natürlich auch Möglichkeiten, die sich junge Kreative sonst nie leisten könnten, indem sie beispielsweise plötzlich temporär über riesige Flächen verfügen können. Mit räumlichen Gegebenheiten unterschiedlichster Art kann man unter diesen Umständen auch experimentieren, um für sich auch in der Konstellation mit anderen das geeignete räumliche Konzept zu entwickeln. Manchmal bringen einen räumliche Gegebenheiten sogar erst auf Ideen, die man sonst nicht hätte. Und gerade, wenn in einem größeren Objekt Räumlichkeiten von vielen Kreativen genutzt werden, spielt für junge Kreative natürlich der Aspekt der Vernetzung eine wichtige Rolle. Und Zwischennutzungen können natürlich punktuell auch die Sichtbarkeit der lokalen Szene und generell ein kreatives Klima am Standort unterstützen. Manchmal können solche Zwischennutzungen sogar die Funktion und Bedeutung gesellschaftlicher Labore haben.

»Zwischennutzungen können die Sichtbarkeit der lokalen Szene und generell ein kreatives Klima am Standort unterstützen. Manchmal können Zwischennutzungen sogar die Funktion und Bedeutung gesellschaftlicher Labore haben.«

Und was haben Immobilieneigentümer davon, ihren Leerstand auf Zeit Kreativen zur Verfügung zu stellen?

Ach da gibt’s auch eine ganze Menge. Klar, das sind natürlich so ganz pragmatische Dinge. Leerstand ist in vieler Hinsicht nicht gut, ob für das Gebäude, das Umfeld und eben auch, du sprichst es an, was die Kosten betrifft. Ein Gebäude, das nicht genutzt wird, dem Eigentümer nichts einbringt muss ja zum Beispiel trotzdem beheizt werden, wenn es nicht substanziell Schaden nehmen soll. Und ein gutes Leerstandmanagement ist eine teure Sache. Eine Brache über einen längeren Zeitraum tut auch der Umgebung nicht gut und führt in der Konsequenz zum Verfall des Wertes der eigenen Immobilie.

Und du spielst auf nutzungsrechtliche Fragen an. Wenn ein Gebäude absehbar wieder in der genehmigten Funktion genutzt werden soll, kann eine der ursprünglichen Nutzung ähnliche Zwischennutzung natürlich vor dem drohenden Verfall des baurechtlichen Bestandsschutzes bewahren, der oft mit zwei Jahren Leerstand eintritt. Dann muss, trotz identischer Nutzungsabsicht, ein Bauantrag gestellt werden und, wenn es schlecht läuft, hat sich inzwischen sogar der Bebauungsplan geändert.

Eine attraktive, kreative Zwischennutzung kann dagegen in vielerlei Hinsicht positive Effekte für die Immobilie und für die Umgebung haben. Auch ein Immobilienbesitzer muss in sich ändernden Zeiten unter Umständen neue, kreative Wege gehen, das heißt sich auch immer wieder etwas einfallen lassen, um nicht geschäftlich in Bedrängnis zu geraten. Und es zeigt sich doch sehr oft, dass die am Ende den richtigen Dreh gefunden haben, die sich auf Experimente und Neues eingelassen haben. Gerade erleben wir ja eine Zeit mit vielen Unsicherheiten, aber ich denke, man muss da an einem bestimmten Punkt auch die Chancen sehen, die sich eben eventuell durch Kreative bieten. Die bringen zwar erstmal vielleicht nicht ganz so viel Geld, aber dafür umso mehr Ideen, also gewissermaßen innovatives Kapital mit.

Insbesondere in der Gründungsphase mangelt es Unternehmen mitunter an Kapital. Welche Mietmodelle haben sich hier für alle Beteiligten bewährt?

    Eine zeitlich ganz klar definierbare Zwischennutzung ist schon so eine Möglichkeit, die für beide Seiten einen guten Rahmen bildet. Für Kreative kann sich das ganz konkret als Förderung auswirken. Und für Eigentümer ist das ein kalkulierbarer Rahmen. Ansonsten muss man das natürlich von Fall zu Fall sehen. Ob es sich zum Beispiel um eine Veranstaltungsnutzung handelt oder ob es um günstige Arbeitsräume geht. Wenn es sich um größere Objekte mit kleinteiligen Flächen handelt, lohnt es sich für den/die Eigentümer/in nicht, eine Vielzahl von Einzelverträgen mit kreativen Kleinstunternehmen zu machen. Da ist es für Kreative, oder oft sind es ja kreative Initiativen, die sich an den Standorten um die schwierige Frage von günstigen Räumen für junge Kreative kümmern, von Vorteil, wenn die in irgendeiner geeigneten Rechtsform organisiert sind, etwa in einem Verein oder in einer Genossenschaft. Damit sind auch die Haftungsfragen klar geregelt. Das macht es dem/der Eigentümer/in leichter, sich auf eine Zwischennutzung einzulassen.

    Welche Stolpersteine gibt es bei Zwischennutzungen?

    Es gibt natürlich bestehende rechtliche oder baurechtliche Auflagen, die auch für Zwischennutzungen gelten. Und dann ist oft die Frage, ob der Aufwand lohnt. Das sind Kostenfragen, und auch der zeitliche Vorlauf, der sich daraus ergibt, muss im Verhältnis zur möglichen Nutzungsdauer gesehen werden. Ein Bauantrag, wenn der erforderlich ist, ist mit Kosten verbunden und dauert mal mindestens drei Monate. Dann muss man dafür eine/n Architekt/in beauftragen und die erforderlichen Vorkehrungen, die sich dann aus der Genehmigung ergeben, zum Beispiel Brandschutz, da geht es oft um aufwendige Maßnahmen, neue Türen, Abschirmung von Brandabschnitten etc., müssen natürlich auch baulich umgesetzt werden. Das sind oft erhebliche finanzielle Aufwendungen und die kosten zusätzlich Zeit. Bei der Stellplatzablösung, abhängig vom Bebauungsplan, ist man bei Zwischennutzungen in den Ämtern oft kulant, aber beim Brandschutz gibt es keine großen Spielräume. Das muss auch im Interesse eines/einer verantwortlichen Nutzers/Nutzerin sein.

    Bei einer Nutzung, die der ursprünglichen Gebäudenutzung ähnlich ist, kann das unter Umständen wegfallen. Das macht die Sache natürlich erheblich einfacher, wenn also zum Beispiel in ein Gebäude mit vormaliger Büronutzung, Gestalter/innen, Graphiker/innen oder Spieleentwickler/innen nur mit einem Schreibtisch und ihrem Computer einziehen, oder wenn Kaufhausflächen mit Pop Up-Stores bespielt werden.

    Und bei einmaligen Veranstaltungsnutzungen von eventuell nur einem Tag ist es natürlich auch einfacher. Da entscheidet das Ordnungsamt, was möglich ist, und bezüglich des Brandschutzes und der Fluchtwegeregelung reicht es dann manchmal, wenn an einer bestimmten Stelle für den Zeitraum der Veranstaltung eine Person steht und den Fluchtweg weist.

    Ursprünglich als Zwischennutzung gestartet: Die inzwischen international renommierte, kreative Produktions- und Ausstellungsplattform basis im Frankfurter Bahnhofsviertel. Faktor der Quartierentwicklung. Jetzt steht die Sanierung des Gebäudes bevor.
    © Günter Dächert
    Ursprünglich als Zwischennutzung gestartet: Die inzwischen international renommierte, kreative Produktions- und Ausstellungsplattform basis im Frankfurter Bahnhofsviertel. Faktor der Quartierentwicklung. Jetzt steht die Sanierung des Gebäudes bevor.

    Und wie kann man sich darauf gut vorbereiten? Gibt es so etwas wie einen Leitfaden, den ihr Eigentümerinnen und potenziellen Nutzern an die Hand geben könnt, damit nichts Wichtiges vergessen wird?

      Leitfäden dazu gibt es verschiedentlich. Die findet man zum Teil auch im Internet. Die Stadt Stuttgart hat zum Beispiel mal einen Leitfaden herausgegeben, den man auch im Netz findet. Allerdings muss man im Detail sehen, da Baurecht Länderrecht ist, ob entsprechend die jeweilige Regelung zum Beispiel auch für Hessen gilt. Solche Leitfäden sind aber, wegen der komplexen Vorschriften meist ebenso komplex und für den Laien keine wesentliche Erleichterung. Schließlich helfen sie vielleicht wirklich vor allem am Ende als Checkliste, um zu sehen, ob nichts vergessen wurde.

      Einfacher ist es für Kreative beispielsweise in Frankfurt. Die Interessent/innen wenden sich direkt an uns. Wir kennen dann vielleicht auch nicht jedes Detail. Aber es gehört, im Rahmen der Arbeit der Leerstandsagentur RADAR, mit zu unseren Aufgaben, die einzelnen Fragen in dem Zusammenhang zu klären. Und das ist dann, im Rahmen unserer regelmäßigen Runden mit den beauftragenden Ämtern, meist auf kurzem Weg möglich. Da sitzen wir quasi an der Quelle.

      Im Übrigen bieten wir einen Standard-Zwischennutzungsvertrag für Eigentümer/innen und Nutzer/innen sowohl auf unserer Website radar-frankfurt.de wie auf der Website für Hessen www.kreativ-raeume.de an.

      Du sprichst statt von Zwischennutzung auch von Pioniernutzung. Klingt definitiv besser. Was meinst du damit konkret?

      "Pioniernutzung" ist nicht einfach ein anderes Wort für "Zwischennutzung", sondern steht für mich für eine etwas andere, neue Sicht auf die Dinge und einen sinnvollen Ansatz, wie man Bestandsimmobilien kreativ auch langfristig entwickeln kann. Das heißt, da öffnet man sich seitens der Immobilienentwicklung für den Gedanken, dass eine zwischenzeitliche oder anfängliche Kreativnutzung durchaus für die weitere und langfristige Entwicklung eines Gebäudes eine Rolle spielen oder sogar einen zentralen Impuls geben kann. Bestandsnutzung wird ja heute auch unter ökologischen Gesichtspunkten ein immer größeres Thema. Für Kreative ist Bestandsnutzung schon länger eine wichtige und auch interessante Möglichkeit. Nicht nur, weil man so am günstigsten an Räume kommt, sondern weil bestehende Gegebenheiten, das geht einem ja im Leben tagtäglich so, Kreativität in besonderer Weise herausfordern. Das macht für Kreative oft gerade den Reiz aus.

      »Bei der Pioniernutzung öffnet man sich seitens der Immobilienentwicklung für den Gedanken, dass eine zwischenzeitliche oder anfängliche Kreativnutzung für die weitere und endgültige Entwicklung eines Gebäudes eine Rolle spielen oder sogar einen zentralen Impuls geben kann. «

      Am Anfang steht da vertraglich vielleicht auch erstmal eine klassische, zeitlich befristete Zwischennutzung. Aber es geht bei dieser, ich sag mal, neuen Form der Immobilienentwicklung, von vorne herein um eine andere Strategie und mehr um ein reales Experiment im Hinblick auf die Entwicklung einer Immobilie, deren vormalige Nutzung vielleicht nicht mehr zeitgemäß ist, aber deren Substanz und Bauweise immer noch überzeugt. Da spielt das Ausloten der spezifischen Möglichkeiten und der Tragfähigkeit von neuen Nutzungskonzepten und Lösungen eine zentrale Rolle. So ein Gebäude wird eher wie ein Wesen betrachtet. Das setzt auch ein anderes, eher organisches Denken in der Planung und Entwicklung voraus. Ein bisschen zäumt man im positiven Sinn das Pferd vielleicht von hinten auf, erprobt im realen Experiment bzw. 1:1-Modell, was funktioniert und sich trägt. Am Ende kann ja eventuell unter finanziellen Überlegungen auch eine Mischnutzung herauskommen, bei der die kreative Nutzung aber einen wichtigen Impuls gesetzt hat, und die weiterhin einen attraktiven Faktor auch für die übrigen Nutzungen und das städtische Umfeld bedeutet.

      Da wird also nicht, wie bei Neubauten, klassisch gesprochen etwas abstrakt am Reißbrett entworfen und dann auf Teufel komm raus umgesetzt, quasi aus dem Boden gestampft. Und am Ende funktioniert das alles nicht, weil man bestimmte Dinge, die man oft erst im Experiment und in der realen Erprobung versteht, natürlich nicht bedacht hat. Es werden also meines Erachtens durch Pioniernutzungen Fehlplanungen vermieden und das Objekt fügt sich von vorne herein, schon im Prozess der Entwicklung, organisch in das städtische Umfeld ein – unter Umständen ein wichtiger Faktor für die Quartierentwicklung –, bzw. war als Bestandsimmobilie von vorne herein Teil davon, hat und behält seine Geschichte.

      Danzig am Platz. Mittelfristige, kreative Zwischennutzung und potentieller Faktor für die Objektentwicklung.
      © Simon Horn I MARGARETE
      Danzig am Platz. Mittelfristige, kreative Zwischennutzung und potentieller Faktor für die Objektentwicklung.

      Allem Pioniergeist und Vorteilen zum Trotz, ist es eine zeitlich begrenzte Nutzung, in die mitunter viel Energie gesteckt wird. Wie nachhaltig ist das Modell – ökonomisch wie ökologisch?

        Eine zeitlich befristete Nutzung ist eine Pioniernutzung eben unter Umständen nicht, oder nicht zwangsläufig, wenn das erprobte Modell, auch eventuell nur als ein Baustein, aber eben auch als wichtiger neuartiger Impuls für die Immobilienentwicklung funktioniert.

        Mit der Perspektive, dass es nicht eine temporäre Nutzung bleiben muss und dass sich auf diesem Weg eine sinnvolle, ausgewogene, vielleicht auch gut verwobene Mischung von Nutzungen, zum Beispiel Wohnen und Arbeiten, für die Immobilie entwickeln lässt, sind Energie und finanzielle Mittel meines Erachtens gut eingesetzt. Natürlich muss man diese Perspektive von Anfang an ernsthaft in Betracht ziehen und dabei auch die Entwicklungsfähigkeit und Tragfähigkeit der kreativen Nutzung klar taxieren. Dann kann eine solche Immobilienentwicklung gerade enorm ressourcenschonend und nachhaltig sein. Kreative Nutzerinnen und Nutzer haben andererseits in der Entwicklungsphase, der man vielleicht etwas mehr Zeit geben muss, die Möglichkeit, sich im Prozess zu einem wirtschaftlich tragfähigen Baustein einer Nutzungsmischung zu entwickeln. Da versteckt sich nebenbei unter Umständen noch ein Modell der Kreativförderung.

        Und vergleichsweise klassische Planungen haben doch ein viel höheres Risiko, im Zweifelsfall Ressourcen in den Sand zu setzen. Ökologisch, aus heutiger Sicht, ist doch der klassische Umgang mit Ressourcen im Bauwesen ein Unding. Wie lange soll das denn noch gut gehen?

        Vielleicht kann man ja auch am Planungsrecht in Deutschland noch was ändern. Das würde auch diese Form der Immobilienentwicklung erleichtern und hätte noch einen Effekt für Ökonomie, Ökologie und Nachhaltigkeit – und ein organisch gewachsenes Umfeld mit hoher Lebensqualität.

        Vielen Dank, Jakob!

        (Das Gespräch führte Daniela Hartmann)


        Jakob Sturm_Portrait
        © Katrin Binner

        Jakob Sturm

        Mitgründer und Leiter des Modellprojekts basis e.V.

        Jakob Sturm hat Philosophie und Soziologie studiert. Er ist Mitgründer und Leiter des Modellprojekts basis e.V., das in Frankfurt leerstehende Immobilien für die Professionalisierung in Kreativberufen nutzbar macht. Seit 2011 hat er die von der Stadt Frankfurt beauftragte Leerstandsagentur "RADAR – Kreativräume für Frankfurt" aufgebaut und bis Ende 2018 geleitet. Er war als Lehrbeauftragter an der Offenbacher Hochschule für Gestaltung und der Frankfurter Goethe-Universität tätig.

        Veröffentlicht: 13.07.2022


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